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Der Klang des Herzens

Titel: Der Klang des Herzens
Autoren: Jojo Moyes
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Stirn gezogen.
    »Und nachdem ich ihren Anruf bekommen hab, dachte ich, zum Baustoffhändler kannst du auch morgen noch fahren«, fügte er hinzu.
    Anthony musterte seine Füße.
    »Glaubst du denn wirklich, dass ich deiner Mutter so was antun würde? Nach allem, was sie für diese Familie getan hat – für den alten Mann?« Es sah aus, als ob er ihn damit hatte. Matts Reaktion war rein instinktiv – nie was zugeben, nie was erklären – und hatte ihn schon aus unzähligen Klemmen befreit.
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Nein, weißt du auch nicht. Also solltest du vielleicht besser erst mal den Verstand einschalten, bevor du’s Maul aufmachst.« Jetzt. Jetzt hatte er ihn. »Du hängst zu viel im Dorf rum. Ich hab deiner Mutter gesagt, wir hätten dich irgendwo aufziehen sollen, wo mehr los ist.« Er tippte sich an die Stirn. »Hier langweilen sich die Leute. Sie haben nichts Besseres zu tun, als irgendwelche Geschichten zu erfinden. Menschenskind – hör dich doch an! Du bist nicht besser als diese alten Klatschweiber da draußen.«
    »Ich hab dich schon mal mit ihr gesehen, oder hast du das schon vergessen?«, entgegnete Anthony zornig.
    »Ich darf also nicht mal mehr mit’ner Frau flirten, was? Mich mit einem hübschen Mädel unterhalten? Soll ich mit gesenktem Kopf rumlaufen und auf meine Füße starren, bloß damit mich keine anmacht? Vielleicht sollte ich Mrs Linnet bitten, mir’ne Burka zu nähen.«
    Anthony schüttelte den Kopf.
    »Hör zu, Sohn, du bist erst sechzehn. Ein bisschen mehr Reife brauchst du schon noch. Aber falls du glaubst, deine Mutter hätte lieber so’ne Art Pudel geheiratet, dann täuschst
du dich. Und jetzt geh, und such dir’ne bessere Beschäftigung, als hier Miss Marple zu spielen. Und lass dir verdammt noch mal endlich die Haare schneiden.«
    Matt schlug mit einem Knall die Küchentür hinter sich zu und ließ Anthony mit hängenden Schultern und gesenktem Blick stehen.
     
    Der Nachmittag ging in den Abend über, die Dämmerung brach herein, und dann senkte sich die Nacht wie eine samtene schwarze Decke über das Haus und die Umgebung, die Wälder, die Felder. Aber hinter den hell erleuchteten Fenstern des McCarthy-Hauses dachten die Trauergäste noch immer nicht daran zu gehen. Tatsächlich dachten sie nicht einmal mehr daran zu trauern. Der Alkohol floss in Strömen und löste die Zungen. Mittlerweile war man bei den weniger respektvollen Geschichten über den alten Pottisworth angelangt. Von seinen langen Unterhosen war die Rede, die er sogar bis in den Sommer hinein getragen hatte und die schon ganz grau gewesen waren. Jemand erwähnte die anzüglichen Bemerkungen, die er zu der netten jungen Dame von der Krankenkasse gemacht hatte.
    Keiner wusste so genau, wer eigentlich auf die Idee gekommen war, die Party zum Großen Haus zu verlegen. Aber irgendwann ergoss sich die Gesellschaft kichernd und gackernd auf die Terrasse und machte sich auf den Weg zum Trampelpfad. Als Laura merkte, was los war, zockelte sie ein wenig verloren hinter ihrem Mann her.
    Es war eine ungewöhnlich warme, fast schwüle Nacht. Die Luft war erfüllt von den Nachtgeräuschen der Tiere. Huschend und raschelnd brachten sie sich vor den wackelnden Strahlen zahlreicher Taschenlampen in Sicherheit. Die alten Ladys quiekten vor Schreck und vor Vergnügen, während sie sich tastend ihren Weg durch den dunklen Wald suchten.
    »Nicht mal meine Frau hat er mit seinen schmutzigen Bemerkungen
verschont«, sagte Matt. »Dieser alte Lüstling. Vorsicht auf den Brettern, Mädels.«
    »Matt«, sagte Laura, die gerade an ihm vorbeiging, »bitte!«
    »Ach, nun komm schon, Schatz. Es stimmt doch! Du willst doch nicht behaupten, dass er ein Engel war, oder?«
    Er zwinkerte Mike Todd zu, der sein Weinglas hochhielt, um ja keinen Tropfen zu verschütten. »Wir wissen doch alle, wie er war, oder, Mike?«
    »Trotzdem. Es ist nicht anständig.«
    »So über die Toten zu reden? Aber ich sag doch nur die Wahrheit. Stimmt’s nicht, Leute? Und ich meine es ja nicht böse.«
    »Trotzdem …«
    Vom Mond beschienen, der sich im stillen See spiegelte, ragte vor ihnen das Haus auf. Im bläulichen Schein wirkte das alte Gemäuer beinahe ätherisch, weniger gedrungen als am Tage. Feiner Nebel stieg vom Boden auf, und man hatte den Eindruck, als würde das Haus schweben. Den roten Backsteinmauern des Ostflügels schloss sich der Anbau aus einer späteren Zeit an, mit seinen schlanken gotischen Spitzbogenfenstern und der für diese
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