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Der Kirchendieb

Der Kirchendieb

Titel: Der Kirchendieb
Autoren: Claudia Frieser
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Brunnenwasser war eiskalt und weckte auf einen Schlag Johannas Lebensgeister. Schlotternd schlüpfte sie in das gute Kleid,
     das ihre Mutter selbst genäht hatte.
    »Mit den frisch gewaschenen und gekämmten Haaren siehst du wie ein Engel aus!«, rief ihre Mutter überrascht. Dann ging sie
     auf ihre Tochter zu und drückte sie fest an sich. »Für dich beginnt heute ein neues Leben! Du wirst sehen, es wird dir dort
     gut gehen! Und jetzt lächle mal!«, forderte sie ihre Tochter auf.
    Doch Johanna war überhaupt nicht nach Lächeln zumute. Sie fühlte sich elend, wollte viel lieber bei ihrer Mutter und ihren
     Brüdern bleiben. Sie brauchte doch nicht viel zu essen und arbeiten könnte sie auch zu Hause   – Äpfel verkaufen, Wasser tragen oder Ähnliches. Das alles hätte sie ihrer Mutter am liebsten gesagt, aber was hätte es genützt.
     Johanna wusste, dass es ihrer Mutter genauso schwerfiel, sie wegzuschicken. Würde Johanna jetzt weinen, behielte ihre Mutter
     sie bei sich. Doch das Geld reichte kaum für ihre jüngeren Geschwister. Und so nahm Johanna all ihre Kraft zusammen und lächelte
     ihrer Mutter zuliebe.
    Johannas Brüder lächelten jedoch nicht. Vor allem die beiden jüngeren klammerten sich mit aller Kraft an ihre Schwester und
     weinten.
    »Ihr seht mich doch sonntags in der Kirche«, tröstete Johanna die beiden und befreite sich sanft aus ihrer Umklammerung.
    Der Weg Richtung Rheingasse kam Johanna heute endlos vor. Erst neulich war sie hier entlanggekommen, mit ihren Freunden. Um
     es Andreas heimzuzahlen, nicht um für ihn zu arbeiten. Noch nie hatte Johanna so sehr mit ihrem Schicksal und Gott gehadert.
     Wie sehr sie es hasste, arm zu sein.
    Schließlich war es so weit. Das Haus der Familie Stolzenberg lag vor ihnen. Eindrucksvoll ragte es in die Höhe. Der Stufengiebel
     war mächtig, die steinerne Fassade durch rundbogige Fenster gegliedert. In den beiden unteren Geschossen, in denen die Familie
     wohnte und ihren Reichtum zur Schau stellte, erkannte Johanna sogar Glasfenster. Darüber lagen die Speicher für die Waren,
     die den Reichtum der Familie Stolzenberg begründeten.
    Eingeschüchtert griff Johanna nach der Hand ihrer Mutter.
    »Das wird schon!«, meinte sie beruhigend.
    Johanna beobachtete, wie die zierliche Hand ihrer Mutter den riesigen, schweren Türklopfer umfasste, einen Metallring, der
     im Maul eines finster dreinblickenden Löwen steckte. Ein lautes
Pock! Pock!
hörte man durch das ganze Haus dröhnen.
    Jetzt gibt es kein Zurück mehr, dachte Johanna und schluckte schwer.
    Mit demütig gesenkten Köpfen standen Mutter und Tochter da, als die Tür geöffnet wurde.
    Ein alter Mann erschien.
    »Was wollt ihr? Betteln ist hier nicht erwünscht!«, maulte er die beiden an.
    »Verzeiht die Störung! Mein Name ist AnnaJanssen, Frau des verstorbenen und ehrbaren Jacob Janssen, Tagelöhner zum Dom und wohnhaft am Griechenmarkt. Ich bin hier,
     um meine Tochter Johanna in Stellung zu geben.«
    Kaum hatte die Mutter das gesagt, schloss sich die Tür wieder und nichts geschah.
    Fragend blickten sich die beiden an. Hatte ihre Mutter zu leise oder etwa undeutlich gesprochen? Gab es diese Stelle vielleicht
     gar nicht? Johanna begann schon Hoffnung zu schöpfen, als erneut geöffnet wurde. Eine ältere Frau erschien.
    »Du bist also die Johanna. Meine Herrin hat mich gestern unterrichtet. Du siehst aber sehr dürr aus«, nörgelte sie und betrachtete
     Johanna argwöhnisch. »Ich hoffe, du hältst was aus. Ich brauche jemanden zum Arbeiten und nicht zum Jammern! Damit das von
     Anfang an klar ist! Verabschiede dich von deiner Mutter und komm mit!«
    Johanna sah zu ihrer Mutter. Ihr Blick war so traurig, dass Johanna fast geweint hätte. Sie wusste, dass ihre Mutter sie auf
     der Stelle wieder mitgenommen hätte, gäbe es eine andere Möglichkeit.
    »Nun geh schon, Johanna-Kind!«, war das Letzte, was sie von ihrer Mutter hörte, dann fiel die schwere Tür hinter ihr ins Schloss.
    Johanna wagte sich kaum umzusehen. An den Wänden und der Decke entdeckte sie bunte Malereien. Sie genauer zu betrachten blieb
     keine Zeit. Die Frau marschierte im Stechschritt voran und Johanna stolperte eingeschüchtert hinterher. Erst als sie in der
     Küche des Hauses angekommen waren, blieb sie stehen.
    »Hier wirst du in Zukunft arbeiten, von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Deine Kammer ist gleich hier unter der Treppe«. Die
     Frau zeigte auf eine niedrige Tür. »Die Treppe führt hinauf zum
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