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Der Kirchendieb

Der Kirchendieb

Titel: Der Kirchendieb
Autoren: Claudia Frieser
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gegeben, woanders zu wohnen, aber auf die ehrlichen Leute in ihrem Quartier ließ sie
     deswegen noch langenichts kommen. Sie rackerten sich Tag und Nacht ab, nahmen jede noch so schlecht bezahlte Arbeit an, schufteten als Kloakenreiniger,
     Holzträger oder Karrenschieber, nur um sich und ihre Familie zu ernähren. Sicher, es gab auch andere Kinderbanden, wie die
Compagnie
. Ihr Anführer, er nannte sich
Kapitän
, schickte seine Jungs zum Stehlen aus. Ihre Namen wie
Der Schwarze
,
Holzbock
(er hatte durch die Pocken ein Auge verloren),
Plattnas
(benannt nach seiner eingeschlagenen Nase),
der Welsche Jacob
oder
der grindige Milchbart
(wegen seiner eitrigen Verkrustungen auf dem Kopf), all die kannte Johanna bestens. Mit denen gab man sich möglichst nicht
     ab. Doch wer wollte ihnen ihre Gaunereien verübeln? Leben und leben lassen, sagte ihr Vater immer. Im Unterschied zu den Jungen
     der
Compagnie
hatte sie Eltern, die sich um sie kümmerten.
    Geschickt bahnte sich Johanna einen Weg durch die vielen Leute, die ihren Besorgungen nachgingen. Hier, in den Gassen Kölns,
     war sie zu Hause. Jeden Winkel dieser reichen Kaufmannsstadt kannte sie. Wenn man öfter nichts zu tun hat, streift man durch
     die Gassen und lernt so jeden Stein kennen. Doch wem nutzte das schon? Was hätte Johanna darum gegeben, wie dieser Andreas
     in eine Schule zu gehen,lesen und schreiben zu lernen, etwas über die große weite Welt außerhalb der schützenden Mauern zu erfahren. Doch das Schulgeld
     konnten ihre Eltern nicht aufbringen. Der Verdienst des Vaters reichte gerade mal, um von der Hand in den Mund zu leben. Und
     so war es großes Glück, dass ihre Mutter einen kleinen Nähauftrag bekommen hatte. Das bisschen Geld erlaubte vielleicht, für
     Notzeiten etwas für die sechsköpfige Familie zur Seite zu legen. Johanna war mit ihren zehn Jahren die Älteste, dann kamen
     der siebenjährige Gero, der vierjährige Simon und der zwei Jahre alte Anton. Seit gestern nähte ihre Mutter wie eine Besessene.
     Sie wollte ihre Arbeit gründlich und schnell erledigen, in der Hoffnung, die Kundin für weitere Aufträge zu gewinnen. Blass
     und ausgezehrt hatte Johannas Mutter heute Morgen unter dem kleinen Kellerfenster gesessen und mit müden Augen gleichmäßige
     Stiche gemacht.
    »Johanna-Kind, ich brauche dich heute noch für Heftarbeiten. Sei also bitte in einer Stunde wieder zurück«, bat sie ihre Tochter.
    Die Stunde war jetzt bald um und Mutter wartete vermutlich schon. Dass Johanna helfen musste, störte sie nicht. Immer noch
     besser, als vor den Kirchen zu sitzen und zu betteln. Sogar ihr drei Jahrejüngerer Bruder, der siebenjährige Gero, ging jeden Morgen mit seinem Vater zur großen Dombaustelle. Manchmal fiel Arbeit
     für ihn ab und so trug auch er zum Unterhalt der Familie bei. Johanna hatte schon schlechtere Zeiten gesehen, vor allem im
     Winter. Doch seit der Vater als Tagelöhner für die Kirche arbeitete, konnte die Familie sich sogar die Miete für eine Kellerwohnung
     einen Monat im Voraus leisten.
     
    Gut gelaunt rannte Johanna durch die engen und schmutzigen Gassen ihres Viertels. Vor allem aus den schmalen Durchgängen zwischen
     den Häusern stank es schrecklich. Der Inhalt von Nachttöpfen und andere Abfälle türmten sich hier zu kleinen stattlichen Bergen
     auf. Niemand kam und beseitigte sie. Doch Johanna störte sich nicht daran. Sie kannte es nicht anders. Den Gestank nahm sie
     gar nicht mehr wahr. Vielmehr fürchtete und verabscheute Johanna die Taugenichtse, die in den Hauseingängen lungerten und
     auf den Abend warteten, um im Dunkel der Nacht ihren Geschäften nachzugehen. Doch auch die konnten ihr ihre gute Laune nicht
     verderben. Vor dem Haus, in dem Johanna und ihre Familie wohnten, blieb sie kurz stehen. Es war heruntergekommen, wie all
     die anderen Häuser in derNachbarschaft. An manchen Hauswänden schaute das blanke Stroh-Lehm-Gemisch heraus. Die Kuhhäute in den Fenstern waren auch
     an vielen Stellen löchrig. Manchmal beneidete sie die Familien, die sich eine Kammer in den oberen Stockwerken leisten konnten,
     doch dann dachte sie an diejenigen, die sich auf den Friedhöfen einen Unterschlupf errichtet hatten. Johanna betrat das Haus,
     allerdings nicht durch die große Tür, sondern durch die kleinere daneben. Die Tür war so niedrig, dass sich Erwachsene bücken
     mussten, um sich nicht den Kopf anzustoßen. Zum Glück war Johanna noch ein Kind. Leichtfüßig sprang sie die Treppen in
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