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Der Kirchendieb

Der Kirchendieb

Titel: Der Kirchendieb
Autoren: Claudia Frieser
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blickte sie in den Schein der Kerze, die Andreas zurückgelassen hatte. Auch wenn es nur ein kleines Licht war, so spendete
     es doch Wärme und ließ Johanna hoffen. Ihr neuer Freund hatte ihr schließlich, wie versprochen, etwas zu essen gebracht –
     und diese wundervolle Kerze. Von nun an hütete Johanna sie wie ihren größten Schatz. Wollte sie abends lernen, brauchte sie
     Licht.

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    Johanna lernt lesen

    Der nächste Tag war genauso entsetzlich wie der Tag zuvor. Theres hatte Johanna unentwegt herumgescheucht, sie angemeckert
     und ihr Ohrfeigen verpasst. Der Tag schien endlos zu sein. Allein der Gedanke an den Abend hatte Johanna geholfen, die Schinderei
     zu überstehen. Völlig erschöpft ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Als Andreas endlich angeschlichen kam, war Johanna bereits
     eingenickt.
    »He, du Schlafmütze!«, flüsterte Andreas und rüttelte sie an der Schulter. »Hat die alte Vettel dich so sehr herumgescheucht,
     dass du nicht mehr denken kannst?« Andreas grinste und reichte ihr das Mitgebrachte.
    Vorsichtig, als wäre es nur eine Traumblase, nahm Johanna das Buch und die Tafel entgegen. Noch nie hatte sie etwas so Kostbares
     in ihren Händen gehalten.
    Andreas sah sie nur verwundert an. Zärtlich, wie eine Mutter ihr Neugeborenes, streichelte Johanna das Buch.
    »Nun schlag es schon auf! Wir fangen mit den Buchstaben an. Weißt du, wie der erste heißt?«
    Johanna schüttelte geistesabwesend den Kopf. Sie starrte noch immer gebannt auf den dicken Ledereinband des Buches. Am rechten
     Rand befand sich eine Metallschließe, die das Buch zusammenhielt. Sie allein war schon eine kleine Kostbarkeit und hatte die
     Form eines Schlangenkopfes.
    »Der erste Buchstabe ist das A, dann kommen das B und das C.   Deshalb heißt es auch das ABC.« Er nahm Johanna das Buch aus der Hand und schlug eine Seite auf, auf der sämtliche Buchstaben
     zu sehen waren. Jedem war ein Tier zugeordnet.
    »Zuerst musst du das Alphabet lernen. Dann erst kannst du lesen.« Johanna hing gebannt an Andreas’ Lippen. Jedes Wort saugte
     sie in sich auf. Brav wiederholte sie, was Andreas sagte. Damit sie sich die Buchstaben leichter merkte, nannte er immer ein
     Tier dazu. A wie Affe, B wie Bär, C wie Chamäleon, D wie Drache. Dann zeigte er ihr den Buchstaben in dem Buch und ließ ihn
     Johanna abschreiben. Zum ersten Mal in ihrem Leben hielt sie einen Stilo 1 in ihren Händen. Ungelenk zitterte sie ihren ersten Buchstaben auf die geglättete Wachsschicht der Tafel. Bis zum Buchstaben
     D waren sie gekommen, als Andreas den Unterricht beendete.
    »In drei Tagen komme ich wieder. Bis dahin kannst du jeden Abend die Buchstaben üben«.
    Johanna nickte eifrig. Als sie Andreas das Buch zurückgeben wollte, schüttelte der nur den Kopf.

    »Kannst du behalten. Den Kinderkram brauche ich nicht mehr«.
    Johanna überhörte Letzteres.
    »Sag mal, du kennst dich doch mit diesem Diebesgesindel aus, oder?«
    Johanna starrte Andreas entsetzt an. »Mit meinesgleichen meinst du wohl?«
    »Nein!«, wehrte Andreas sofort ab. »Ich meinte, du wohnst doch dort, wo die auch sind«. Der Kaufmannssohn war jetzt sichtlich
     verlegen.
    Johanna zuckte nur mit den Schultern.
    »Ich habe heute meinen Vater belauscht, wie der mit einem Freund über eine Einbruchserie gesprochen hat. Schon dreimal wurde
     in Kirchen eingebrochen und wertvolle Goldschmiedearbeiten aus den Sakristeien gestohlen. Von den Tätern fehlt bislang jede
     Spur. Erst gestern hatten die Diebe in St. Pantaleon Messbecher, mit Edelsteinen verzierte Kruzifixe und andere Wertgegenstände
     mitgehen lassen.«
    »Warum Diebe? Woher weiß man, dass es mehrere waren?«, fragte Johanna neugierig.
    »Der Messner von St. Pantaleon entdeckte den Diebstahl noch am selben Abend und rief sofort die Büttel. Und die sahen eine
     Bande Jugendlicher herumschleichen.Einen von ihnen haben sie erwischt. Er hat wohl ein sehr pockennarbiges Gesicht und ihm fehlt ein Auge.«
    Johanna erschrak. Natürlich kannte sie den
Holzbock
. Er war nur zwei Jahre älter als sie und hatte bei der letzten Pockenwelle nicht nur sein rechtes Auge, sondern auch seine
     Eltern und Geschwister verloren. Das war nun fünf Jahre her. Seitdem hielt er sich mit Gaunereien über Wasser.
    »Ich kenne ihn«, meinte Johanna nachdenklich. »Er hat einiges auf dem Kerbholz, aber das? Ich glaube nicht, dass er es war.
     Die Bande klaut doch nur Kleinigkeiten, die sie sofort weiterverhökern kann, oder etwas zu essen.
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