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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens
Autoren: Patricia Cornwell
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als gäbe es im Leben wenig zu tun und Zeit im Überfluß. »Sprechen Sie von der Autopsie?« fragte ich. »Allerdings.«
    »Möglicherweise öffne ich diese Leiche erst in ein paar Tagen.«
    »Wieso?«
    »Das Wichtigste ist die äußere Leichenschau. Sie wird sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.« Ich sah, wie sein Interesse sich verflüchtigte. »Ich muss im Müll nach Spuren suchen, Knochen mazerieren, einen Entomologen wegen des Alters der Maden zu Rate ziehen, damit ich abschätzen kann, wann die Leiche im Müll gelandet ist, und so weiter.«
    »Vielleicht ist es besser, wenn Sie mir dann einfach Ihre Ergebnisse mitteilen«, beschloß er.
    Grigg folgte mir zur Tür hinaus, schüttelte den Kopf und sagte in seiner langsamen, leisen Art: »Als ich vor langer Zeit aus der Army entlassen wurde, wollte ich unbedingt zur Staatspolizei. Kaum zu glauben, daß die solche Volltrottel einstellen.«
    »Zum Glück sind nicht alle so«, erwiderte ich.
    Als wir in die Sonne hinaustraten, bewegte sich der Krankenwagen gerade langsam, von Staubwolken verhüllt, zur Ausfahrt der Mülldeponie. Tuckernde Lastwagen standen Schlange vor der Waschanlage, während der Berg eine neue Schicht aus zerkleinerten Resten des modernen Amerika erhielt. Es war schon dunkel, als wir bei unseren Wagen ankamen. Grigg blieb vor meinem stehen und sah ihn sich an.
    »Ich hab' mich schon gefragt, wem der wohl gehört«, sagte er voller Bewunderung. »Eines schönen Tages werde ich auch so einen fahren. Irgendwann mal.«
    Ich lächelte ihm zu und schloss meine Tür auf. »Dem fehlen aber so wichtige Dinge wie Sirene und Blaulicht.«
    Er lachte. »Marino und ich sind im selben Kegelclub. Sein Team heißt Balls of Fire, meins Lucky Strikes. Der alte Junge ist so ziemlich der unsportlichste Mensch, den ich kenne. Ist permanent am Spachteln und Biertrinken. Und dann glaubt er auch noch, daß alle mogeln. Letztes Mal hatte er eine Frau dabei.« Er schüttelte den Kopf. »Sie kegelte wie Wilma Feuerstein, und so war sie auch angezogen. So was mit Leopardenmuster. Fehlte bloß noch der Knochen im Haar. Na ja, grüßen Sie ihn von mir.«
    Sein Schlüsselbund klirrte, als er davonging.
    »Detective Grigg! Danke für Ihre Hilfe«, sagte ich. Er nickte mir zu und stieg in seinen Caprice.
    Beim Entwerfen meines Hauses habe ich darauf geachtet, daß die Waschküche direkt von der Garage abgeht, denn nach der Arbeit an Tatorten wie diesem wollte ich den Tod nicht durch die Räume schleppen, in denen sich mein Privatleben abspielt. Wenige Minuten, nachdem ich aus dem Wagen gestiegen war, steckten meine Sachen in der Waschmaschine, und Schuhe und Stiefel lagen in einem extragroßen Spülbecken, wo ich sie mit Waschmittel und einer harten Bürste schrubbte.
    Ich zog einen Morgenmantel an, der immer griffbereit an der Tür hing, ging ins Schlafzimmer und nahm eine lange, heiße Dusche. Ich fühlte mich ausgelaugt und mutlos. Im Moment hatte ich nicht die Energie, sie mir vorzustellen, wie sie hieß oder wer sie gewesen war. Ich verdrängte die Bilder und Gerüche aus meinen Gedanken. Ich machte mir einen Drink und einen Salat, starrte trübsinnig auf die große Schüssel mit Halloween-Süßigkeiten auf der Theke und dachte an die Pflanzen, die auf der Veranda darauf warteten, eingetopft zu werden. Dann rief ich Marino an.
    »Hören Sie«, sagte ich, als er abnahm. »Ich finde, Benton sollte morgen früh herkommen.«
    Es entstand eine lange Pause. »Okay«, sagte er dann. »Das heißt, Sie wollen, daß ich ihm sage, er soll seinen Hintern nach Richmond bewegen. Anstatt daß Sie es ihm selbst sagen.«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich bin total am Ende.«
    »Kein Problem. Um wieviel Uhr?«
    »Wann er will. Ich bin den ganzen Tag da.«
    Ich ging in mein Arbeitszimmer, um vorm Zubettgehen noch nach E-Mail zu sehen. Lucy rief nur selten an, wenn sie statt dessen den Computer benutzen konnte, um mir zu sagen, wo sie war und wie es ihr ging. Meine Nichte war FBI-Agentin, die Technikexpertin für das Hostage Rescue Team, kurz HRT, das Spezialteam für Geiselbefreiungen. Sie konnte jederzeit an jeden Ort der Welt beordert werden.
    Wie eine besorgte Mutter schaute ich regelmäßig nach, ob ich eine Nachricht von ihr erhalten hatte. Mir graute vor dem Tag, an dem sie angepiept und mit der Truppe zur Andrews Air Force Base geschickt wurde, um mal wieder eine C-141 Frachtmaschine zu besteigen. Ich ging um Stapel von Zeitschriften herum, die darauf warteten, gelesen zu werden, und
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