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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens
Autoren: Patricia Cornwell
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einzige.
    »Heutzutage ist das kein geeigneter Ort mehr, um eine Bombe zu verstecken.« Auch Wesley hatte es bemerkt.
    »Aus Schaden wird man klug«, sagte ich, und innerlich begann ich zu zittern.
    Ich sah mich schweigend um, während Tauben über mich hinwegflatterten und hinter Brotkrumen hertrippelten. Der Eingang zum Grosvenor Hotel lag neben der Victoria Tavern. Hier war es passiert. Niemand wußte genau, was Mark in dem Moment gemacht hatte, aber man nahm an, daß er an einem der kleinen, hohen Tische vor der Tavern gesessen hatte, als die Bombe hochging.
    Wir wußten, daß er auf den Zug aus Brighton gewartet hatte, weil er mit jemandem verabredet war. Bis zu diesem Tag hatte ich nicht erfahren, mit wem, denn die Identität der Person durfte aus Sicherheitsgründen nicht enthüllt werden. Das hatte man mir zumindest gesagt. Es gab vieles, was ich nie begriffen hatte, wie zum Beispiel, ob es Zufall gewesen war, daß er sich gerade zu diesem Zeitpunkt dort aufhielt, und ob diese mysteriöse Person, mit der Mark verabredet war, auch ums Leben gekommen war. Ich ließ meinen Blick über das Dach aus Stahlträgern und Glas schweifen, über die alte Uhr an der Granitmauer und die Bogengänge. Außer bei den Menschen hatte der Bombenanschlag keine bleibenden Narben hinterlassen.
    »Ziemlich seltsame Vorstellung, sich im Februar in Brighton aufzuhalten«, bemerkte ich mit zittriger Stimme. »Wieso kommt jemand zu dieser Jahreszeit ausgerechnet aus einem Ferienort am Meer?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er und schaute sich um. »Es hatte alles irgendwie mit Terrorismus zu tun. Wie du weißt, war es das, woran Mark arbeitete. Deshalb ist in der Sache auch nicht viel herauszubekommen.«
    »Richtig. Daran hat er gearbeitet, und daran ist er gestorben«, sagte ich. »Und niemand scheint es für möglich zu halten, daß da eine Verbindung besteht. Daß es vielleicht kein Zufall war.«
    Er reagierte nicht. Ich schaute ihn an, und mein Herz wurde schwer und versank in der Finsternis eines bodenlosen Ozeans. Menschen, Tauben und die ständigen Ansagen aus der Lautsprecheranlage verschmolzen zu einem schwindelerregenden Getöse, und einen Moment lang wurde alles schwarz. Ich schwankte, und Wesley fing mich auf.
    »Alles in Ordnung?«
    »Ich will wissen, mit wem er verabredet war«, sagte ich.
    »Komm mit, Kay«, sagte er sanft. »Laß uns irgendwo hingehen, wo du dich setzen kannst.«
    »Ich will wissen, ob es beabsichtigt war, daß die Bombe zu einem bestimmten Zeitpunkt hochging, als ein bestimmter Zug eintraf«, beharrte ich. »Ich will wissen, ob das alles nur erfunden ist.«
    »Erfunden?« fragte er.
    Tränen standen mir in den Augen. »Woher weiß ich denn, ob das nicht irgendeine Tarnung ist, irgendein Trick, weil er noch am Leben ist und sich versteckt halten muß? In einem Zeugenschutzprogramm mit einer neuen Identität.«
    »Er ist nicht mehr am Leben.« Wesley sah traurig aus, und er hielt meine Hand. »Laß uns gehen.«
    Aber ich rührte mich nicht von der Stelle. »Ich muß die Wahrheit wissen. Ob es wirklich passiert ist. Mit wem war er verabredet, und wo ist diese Person jetzt?«
    »Bitte laß das.«
    Menschen schlängelten sich um uns herum, ohne uns zu beachten. Schritte donnerten wie eine wütende Brandung, und Stahl klirrte, während Bauarbeiter neue Gleise verlegten.
    »Ich glaube nicht, daß er mit jemandem verabredet war.«
    Meine Stimme zitterte, und ich wischte mir die Tränen aus den Augen. »Ich glaube, das ist eine einzige große Lüge, die sich das FBI ausgedacht hat.«
    Er seufzte und starrte vor sich hin. »Es ist keine Lüge, Kay.«
    »Wer ist es denn! Ich will es endlich wissen!« schrie ich. Jetzt schauten Leute in unsere Richtung, und Wesley schob mich fort von dem Getümmel zum Gleis 8, wo um 11:46 Uhr ein Zug nach Denmark Hill und Peckham Rye abfuhr. Er führte mich eine blauweiß geflieste Rampe hinauf zu einem Raum voller Bänke und Schließfächer, wo Reisende ihr Gepäck aufbewahren und wieder abholen konnten. Ich schluchzte hemmungslos. Ich war verwirrt und wütend. Wir gingen in eine menschenleere Ecke, und er drückte mich sanft auf eine Bank.
    »Sag's mir«, sagte ich. »Benton, bitte. Ich muß es wissen. Laß mich nicht den Rest meines Lebens verbringen, ohne die Wahrheit zu kennen«, stieß ich erstickt unter Tränen hervor. Er nahm meine Hände. »Du kannst damit abschließen - hier und jetzt. Mark ist tot. Ich schwöre es. Glaubst du wirklich, ich könnte diese Beziehung mit dir
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