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Der Keim des Verderbens

Der Keim des Verderbens

Titel: Der Keim des Verderbens
Autoren: Patricia Cornwell
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der Meinung, die Recherchen hätten kaum mehr als statistischen Wert.
    Daß sie ihre Zweifel hatten, war verständlich. Die Mordfälle in Irland waren über zehn Jahre alt, und ebenso wie bei den Fällen in Virginia gab es nur sehr wenige Anhaltspunkte. Wir hatten keine Fingerabdrücke, keine Gebisse, keine Gesichtsschädel und keine Zeugen, die die Leichen identifizieren konnten. Wir hatten keine körpereigenen Proben von vermißten Personen, deren genetischen Fingerabdruck wir mit dem der Opfer vergleichen konnten. Wir wußten nicht, womit diese Menschen umgebracht worden waren. Daher war es sehr schwer, Genaueres über den Täter zu sagen. Ich glaubte lediglich, daß er Erfahrung im Umgang mit der Knochensäge hatte und sie möglicherweise im Beruf benutzte oder benutzt hatte.
    »Der letzte uns bekannte Fall in Irland ist zehn Jahre her«, sagte ich ins Telefon. »In Virginia hatten wir in den letzten beiden Jahren vier.«
    »Sie glauben also, daß er acht Jahre lang nicht in Aktion getreten ist?« sagte er. »Warum? Vielleicht weil er wegen irgendeiner anderen Straftat im Gefängnis saß?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht hat er woanders sein Unwesen getrieben, und zwischen den Fällen ist nie ein Zusammenhang hergestellt worden«, antwortete ich, während der Wind schaurige Geräusche machte.
    »Da sind diese Serienmorde in Südafrika«, sinnierte er dumpf. »In Florenz, Deutschland, Russland, Australien. Scheiße, wenn man sich's recht überlegt, gibt's so was einfach überall. He!« Er hielt die Sprechmuschel zu. »Raucht verdammt noch mal eure eigenen Zigaretten! Was glaubt ihr eigentlich, wo ihr hier seid? Bei der Wohlfahrt vielleicht?«
    Männerstimmen dröhnten im Hintergrund, und irgendjemand hatte Randy Travis aufgelegt.
    »Hört sich an, als würden Sie sich prima amüsieren«, sagte ich trocken. »Danke, daß Sie mich nicht eingeladen haben.«
    »Tiere sind das«, grummelte er. »Fragen Sie mich nicht, warum ich das tue. Die trinken mir jedes Mal die Haare vom Kopf. Und sie mogeln beim Kartenspielen.«
    »Der Modus operandi bei diesen Fällen ist sehr charakteristisch.« Mein Tonfall sollte ihn ernüchtern.
    »Okay«, sagte er, »wenn dieser Kerl also in Dublin mit dem Morden angefangen hat, suchen wir vielleicht einen Iren. Ich finde, Sie sollten sich schnellstens auf den Heimweg machen.« Er rülpste. »Klingt, als müssten wir nach Quantico fahren und uns an die Arbeit machen. Haben Sie's Benton schon erzählt?«
    Benton Wesley war der Chef der Child Abduction Serial Killer Unit, kurz CASKU, der Abteilung für Kindesentführung und Serienmorde des FBI, für die sowohl Marino als auch ich als Berater tätig waren.
    »Ich bin noch nicht dazu gekommen«, erwiderte ich zögernd. »Vielleicht können Sie ihn schon mal vorwarnen. Ich komme nach Haus, so schnell ich kann.«
    »Morgen wäre gut.«
    »Ich bin mit meiner Vorlesungsreihe hier noch nicht fertig«, sagte ich.
    »Ihre Vorlesungen sind auf der ganzen Welt gefragt. Wahrscheinlich machen Sie bald nichts anderes mehr«, sagte er, und ich wusste, daß er gleich nachbohren würde.
    »Wir exportieren unsere Kriminalität in andere Länder«, sagte ich. »Da ist es doch das mindeste, daß wir denen beibringen, was wir wissen, was wir in all den Jahren, die wir uns mit solchen Verbrechen befassen, gelernt haben ...«
    »Sie sind doch nicht wegen der Vorlesungen im Land der Kobolde, Doc«, unterbrach er mich, und ein Kronkorken zischte. »Die sind nicht der Grund, und das wissen Sie auch.«
    »Marino«, warnte ich. »Lassen Sie das.«
    Doch er ließ sich nicht beirren. »Seit Wesleys Scheidung finden Sie immer wieder irgendwelche Gründe, mit fliegenden Fahnen die Stadt zu verlassen. Und jetzt wollen Sie nicht wieder nach Hause, das merk' ich doch. Und zwar, weil Sie nicht bereit sind, sich auf ein Spiel einzulassen, bei dem sie vorher nicht wissen, wie's ausgeht. Ich sag' Ihnen was. Irgendwann kommt der Tag, an dem sie Farbe bekennen müssen .«
    »Werd's mir merken«, unterbrach ich sanft seine bierselige Anteilnahme. »Marino, bleiben Sie nicht die ganze Nacht auf.«
    Die Gerichtsmedizin befand sich in der Store Street Nr. 3, gegenüber vom Zollamt und dem Busbahnhof, in der Nähe der Docks und des Flusses Liffey. Das Backsteingebäude war klein und alt, die Durchfahrt, die hinters Haus führte, von einem schweren schwarzen Tor versperrt, auf dem in großen weißen Buchstaben LEICHENSCHAUHAUS stand. Ich stieg die Stufen zu dem georgianischen Portal
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