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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Autoren: Helge Timmerberg
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Sabrina kam nicht. Die gute: Ich wurde weder in Schwechat noch in Schiphol, noch in Fuhlsbüttel verhaftet. Ich habe immer für die Vereinigten Staaten von Europa gestimmt, und langsam zeigen sich die Früchte. Keine Paßkontrollen bei Flügen innerhalb der EU. Wohlbehalten traf ich einen befreundeten Chefredakteur bei einem Griechen auf St. Pauli, um eine bessere Zukunft zu besaufen, doch er hatte sich einen Virus eingefangen und trank nur Tee. Am Sonntag dann das Spiel.
    Ein befreundeter Albaner kannte einen Rumänen, und der kannte den Hallenwart des Tischtennisvereins Wandsbek Nord. Die U-Bahn brauchte fast vierzig Minuten, und es brauchte noch mal zehn oder fünfzehn Minuten bis zur Halle zu Fuß durch gesichtslose Wohnblocks unter einem wolkenverhangenen Himmel. Der Rumäne, der uns führte, sah wie eine bulligere Version von Popeye aus. Der Hallenwart war ein Chinese. Er trainierte seine Rückhand an einem gut zwei Meter hohen Metallgestell mit einem Einfüllbecken für ich weiß nicht wie viele Bälle, die durch ein Loch auf die Platte geschossen werden. Geschwindigkeit und Einfallswinkel der Bälle können am Tischtennisautomaten beliebig variiert werden. Der Chinese hatte den Sekundentakt gewählt.
    Wir bauten auf der anderen Hallenseite eine Platte auf und begannen, uns warm zu spielen. Wir waren zu dritt. Warum bauen wir nicht noch eine Platte auf und spielen in zwei Teams? Ich ging zu dem endlos schmetternden Chinesen rüber und fragte ihn, ob er Lust auf ein Spiel habe. Was danach geschah, läßt sich leider nicht nur damit erklären, daß mir der Schläger fremd war. Ich verlor gegen den Rumänen 21   :   3, und der Rumäne verlor dann gegen den Chinesen 21   :   0. Den zweiten Satz verlor der Rumäne nur mit 21   :   11, denn der Chinese hatte die spielführende Hand gewechselt und mit links gespielt. Ich verließ die Halle, sagen wir, verunsichert.
     
    Ich weiß nicht, was ich denken soll. Einerseits haben mich die Hamburger komplett auf den Topf gesetzt, andererseits auch nicht. Die Tischtennisvereine verlieren in Deutschland seit Jahrzehnten an Mitgliedern. Die Turnhallen, die Turnhosen, das strikte Verbot von Drogen – wer tut sich so etwas freiwillig an? Richtig Geld verdienen kann man auch nicht damit. Es gibt keine Tischtennismultimillionäre, nicht einmal Tischtennismillionäre, ich bezweifle ferner, daß es Tischtennisviertelmillionäre gibt. Es ist kein Zuschauersport. Hohe Geschwindigkeit auf kleinem Raum erfordert hohe Aufmerksamkeit. Auch junge Frauen sind dazu nur punktuell fähig. Keine Miezen, keine Musik, die Liste wächst an. Quo vadis, Sportsfreund?
    Genaugenommen hundertzwanzig Treppen runter, in einem Wiener Stiegenhaus, bevor wir, den Ghettoblaster unterm Arm, die Haidgasse betreten. Jedes Haus sieht wie aus Zucker gebacken aus. In der Rotkreuzgasse, in die wir nach links einbiegen, kommen wir an einer Palmers-Plakatwand vorbei, auf der jeden Monat die Dessousmädchen wechseln. Manchmal träume ich davon, daß eines von ihnen vom Plakat heruntersteigt und uns ein Stück des Weges begleitet. Wir passieren die Große Pfarrgasse, die Kirche St. Leopold (1724) sowie die Kleine Pfarrgasse, und nicht mehr als dreißig Meter von unserer Platte entfernt hängt das nächste Palmers-Plakat, in das sie wieder hinaufklettern kann.
    Der Tischtennisraum im Erdgeschoß des Hauses Große Sperlgasse 40 gehört zum gegenüberliegenden Café Sperlhof. Er ist fünfzehn Meter lang, fünf Meter breit, vier Meter hoch. Die Wände sind bis zu einer Höhe von zwei Metern grün lackiert, der Lack blättert hie und da ab, außerdem haben sich junge Menschen daran zu schaffen gemacht. Graffiti: «Fatima» und «Fuck Fuck» und «Zetjo hat den größten in der Leopoldstadt». Die Platte steht im Jugo- und Judenviertel Wiens, hinter den Mauern, durch die wir nicht hindurchgucken können, leben Serben, Albaner, Kroaten, Herzegowiner und unheimlich viele Menschen, die aussehen wie die fleischgewordene Bibel, Abteilung Altes Testament. Es gibt hier einen koscheren Supermarkt, und Ping merkt an, er möchte so unheimlich gern mal eine achtzehnjährige Orthodoxe über unkoschere Wege führen.
    Ping haßt die Sachlichkeit. Sie ist ihm zu sachlich. Er würde eine achtzehnjährige Orthodoxe nicht einmal erkennen. Sie tragen keine meterlangen Bärte. Sie sind normal frisiert. Sie sind ein Augenschmaus wie ihre Schwestern am Strand von Tel Aviv. Zum Tischtennis kann ich heute nur soviel sagen: Ich wollte
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