Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs
Autoren: Helge Timmerberg
Vom Netzwerk:
treffen. Der Profi hat es mit zwei Gegnern gleichzeitig zu tun: mit dem, der auf der anderen Seite der Platte steht, und mit sich selbst, dazwischen bewegt sich ein Ball mit irrem Tempo. Der Meister hingegen spielt außerhalb von Raum, Zeit und Eifersucht. Warum? Weil er aufgehört hat zu denken. Kein Gedanke mehr an den Gegner, keiner an eine Frau, keiner ans Verlieren oder ans Gewinnen. Trance als Zustand perfekter kosmischer Aktion. Alles davor ist Reaktion auf das Geschehen. Ego? Vergiß es, sonst hast du schon verloren. Als ich Pong zum ersten Mal an der Platte gegenüberstand, ließ er Raketen rüber, daß ich noch Stunden danach emotional betroffen war. Das war meine einzige Reaktion. Ich empfing die Bälle wie Ohrfeigen. Ich fragte mich, warum er nicht gleich zur Pistole greift und mich einfach umnietet. Vielleicht weil er einen halbwegs passablen Gegner braucht.
     
    Als ich diesmal nach zwei Stunden Tischtennis in der Badewanne lag, wurde es ziemlich still in der Wohnung. Ich ließ komplett los. Ich hatte Instanterleuchtungen und brauchbare Visionen. Ich sah mich ein besseres Leben leben. Stärker, präsenter, punktgenauer. Niemals schlaff und stets entspannt. Ein perfekt ausbalanciertes Biotop. Ein Perpetuum mobile pulsierender Energie. Ein Krieger. Dann fiel mir ein, daß ich auf eine Party eingeladen war. Ich wußte, was mich dort erwartete. Schlechte Luft, gute Drogen und zu wenige Mädchen. Eine teuflische Konstellation. Solche Nächte kosten mich zwei Tage, mittlerweile. Das war nicht immer so. Bin ich älter geworden oder nur klüger? Beides, sagte ich, während ich einfach weiter in dieser Badewanne lag, schwer bekifft und schwerelos. Mein Leben wog im Moment kein Gramm, nichts wog, ich schwöre, ich habe den Mond im Wasser gesehen, groß wie ein Tischtennisball. Und plötzlich wußte ich, warum ich den letzten Satz doch nicht gewonnen hatte. 18 zu 16 lag ich schon vorn.
     
    Pong
    Eine halbe Stunde vor dem Spiel werde ich krank. Absagen will ich nicht. Da ist Psychosomatik im Spiel. Ich schleppe mich an die Platte. Normalerweise beginne ich so: Erst ein bißchen Abwehr (Ping schmettern lassen), um das Blut aufzuwärmen. Dann langsam Druck machen, Angriff erwidern, Tempo erhöhen, gelegentliche Schluß-mit-lustig-Egoattacken und schließlich Meditation, Atemübungen, während der Ball meinen Schläger sucht. Buddhistisches Tischtennis. Aber diesmal geht das nicht. Krank? Eine komische Krankheit, flankiert von wüsten sexuellen Phantasien. Die Energie fließt falsch herum, wie ein Rad, das sich rückwärts dreht. Ich habe am Vormittag mit einem Redakteur telefoniert. Er hat meinen Text redigiert. Man könnte sagen, er hat ihn gefickt. Nach dem Telefonat die Desillusion: Ich ändere mich nicht. Und ich kann mich nicht ändern. Harmoniesüchtig, liebessüchtig, konfliktscheu. Das bin ich. Pong.
    Wenn die Lebensenergie wie ein Rad nach vorne drängt, nennen wir das manisch, wenn es sie in die entgegengesetzte Richtung treibt, nennen wir es depressiv. Ich spiele depressiv. Ohne Hoffnung, vor allem: ohne Sinn. Was nutzt ein Topspin, wenn ich am Telefon versage? Keine gute Frage? Gibt es überhaupt gute Fragen? Sind die Fragen das Böse und die Antworten das Gute in unserem Leben? Ich bringe die Bälle irgendwie auf die Platte, aber ich mache ohne Ende Fehler, hample, statt mit den Füßen zu arbeiten, schlage ohne Kraft, und dann, als wäre das noch nicht genug, tritt mir das Testosteron wie ein Elefant zwischen die Beine.
    Von den Füßen bis zu den Haarspitzen durchschwemmen mich Phantasien. Durchschlammen mich, sollte man sagen, doch dafür ist der Fluß der Bilder zu schnell. Mein Pornoarchiv öffnet sich wie die Edertalsperre am 16. Mai 1943 nach britischem Bombardement. An einem anderen Tag hätte mich das möglicherweise vitalisiert. An diesem Tag nicht. An diesem Tag raubt mir das Karussell der geilen Weiber das letzte Quentchen Energie. Ich lege den Schläger auf die Platte, schleiche über die Straße zu Doc Sommer, um Apfelsaft im Literglas und eine Tafel weiße Vollnußschokolade zu bestellen. Dann setzt meine Erinnerung aus. Als ich wieder zu mir komme, habe ich die Schokolade aufgegessen. In dreißig Sekunden oder so. Ping dreht eine Haschischzigarette.
    Ping will ein Spiel.
    O.   k., wo sind meine Gegner? Durch die plötzliche Zufuhr von Zucker kommt die Geilheit zurück. Ich spiele in einer Jogginghose aus leichtem Material. Was denkt Ping, wenn ich dreiarmig mit ihm spiele? Zweitens:
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher