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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Autoren: Richard Dübell
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aus der Geiselhaft entfliehen konnte. In Friedenszeiten waren sowohl das Tor der äußeren Umfriedung als auch das ins Innere der Burg tagsüber geöffnet, bewacht zwar, aber dennoch so einladend, daß es die freundliche Herrschaft seines Besitzers widerzuspiegeln schien. Für die Pächter des Gutes im Wirtschaftshof und in den verstreuten Dörfern bedeutete das offene Tor eine tägliche Mahnung, für das Wohlergehen des Herrn zu beten; sie hatten schon andere Herrschaften erlebt.
    Durch diese offenstehenden Tore trabte einen Tag nach dem Auftritt des Propheten auf dem Marktplatz, auf einem schweren, wertvollen Pferd sitzend und mit den behandschuhten Händen sowohl einen geistigen als auch einen durchaus weltlichen Segen in Form kleiner Geldmünzen um sich verteilend, ein in fließenden Purpur gekleideter Reiter. Der Reiter war allein, was ungewöhnlich war, und die Nennung seines Namens veranlaßte den Wachführer am inneren Tor, selbst die Zügel des Pferdes entgegenzunehmen und den Reiter zum Haupthaus zu führen, was noch ungewöhnlicher war. Wenige Zeit später wurde Philipp, der die Ankunft des Reiters nicht gesehen hatte, in die private Kammer seines Herrn gerufen.
    Philipp, ehemaliger Novize und Kopist im Zisterzienserkloster Sankt Peter und jetzt, in seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr, Raimunds Truchseß, war ein mittelgroßer Mann, der kräftiger und stämmiger wirkte, als er war. Er trug sein Haar nach der aktuellen Mode so kurz, daß man die Stellen sehen konnte, an denen es vorzeitig zurückwich, und offenbarte unter einer hohen Stirn ein spitzbübisches Gesicht mit dunkelblauen, lebhaften Augen. Es waren die Augen, die an seinem Gesicht zuerst auffielen und die im Zorn ebenso funkelten wie vor Ausgelassenheit; es mochte an seinem kleinen, verschmitzten Mund liegen, daß dem Betrachter die Ausgelassenheit zu überwiegen schien. Auf den zweiten Blick fielen die Kerben an seinen Nasenflügeln und um seine Mundwinkel auf. Sie vertieften sich, wenn er lachte, aber sie waren nicht vom Lachen entstanden. Er bewegte die Schultern beim Gehen, als wäre er in Eile und würde stets über zu wenig Zeit verfügen. Er war jung für sein Amt auf dem Gut, aber das Gesinde und die Dienstboten gehorchten ihm blind. Dieser Umstand lag daran, daß er jedem der Männer und auch den Frauen mit einem Scherz zu begegnen pflegte und selbst sein Spott, zumeist gutmütiger Natur, dank seines jungenhaften Grinsens beidemjenigen das meiste Lachen auslöste, über den er ihn ausgoß. Das Gesinde mochte ihn und wäre für ihn durchs Feuer gegangen, was er, hätte man es ihm gesagt, mit einem ungläubigen Schnauben abgetan hätte.
    Philipp war nicht erstaunt, daß Raimund ihn in seiner privaten Kammer im ersten Geschoß des Palas anstatt in der Aula erwartete. Als sein Kämmerer und Truchseß gehörte er dem engsten Zirkel des Gefolges an und hatte Zutritt auch zu den wenigen intimen Bereichen des Herrn. Was ihn jedoch erstaunte, war die Anwesenheit des Besuchs in der Kammer.
    Der Frühsommer hatte nach dem langen Regiment des Winters mit warmen Sonnentagen Einzug gehalten, und die Truhen, auf denen Philipps Herr und sein Gast saßen, waren vom leise flackernden Kaminfeuer weggerückt. Die beiden Männer hatten sich direkt unter die Fensteröffnung gesetzt, die durch einen Rundbogen den Blick ins Freie erlaubte. Die Sonne sickerte durch die Öffnung in den Raum, ein breiter Strahl aus Licht und Wärme, der sich im räucherigen Halbdunkel des übrigen Raums deutlich abzeichnete und um die Gestalten der beiden Männer einen gleißenden Lichtsaum wob. Philipp, der von der Helle draußen gekommen war, kniff die Augen zusammen und blieb hinter dem Vorhang stehen, der die Kammer des Herrn vom Saal trennte. Er hustete höflich.
    »Philipp«, sagte Raimund, »komm näher; wir haben etwas mit dir zu besprechen.«
    Philipp trat in die Kammer und wusch sich die Hände in der Schüssel, die gleich hinter dem Eingang stand. Dann schritt er zu den beiden Truhen und neigte den Kopf. Der Besucher nickte ihm zu. Er ‘mochte etwa das Alter von Philipps Herrn haben; die strenge Mönchsfrisur ließ ihnälter erscheinen, aber seine Haut war frisch und die Augen hell und lebendig. Um die Nasenwurzel und in seinen Augenwinkeln saßen Runzeln, als habe er sein Leben damit zugebracht, etwas mit mißtrauischer Miene zu mustern. Er betrachtete Philipp mit einer hochgezogenen Braue und einem breiten Lächeln. Seine Hände, glitzernd im Sonnenlicht vor
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