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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Autoren: Hans Weitmayr
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Kellner sah ihn ratlos an.  
    Alexander seuzte. „Ganz einfach: Leg' Dich nie mit Kellner oder Küche an, bevor Du Dein Essen auf dem Tisch hast, sonst...“, damit zog er tief auf und spuckte in seine Kaffeetasse.   
    „ Und bei einem Espresso sieht man so schlecht, was unter der Crema schwimmt.“ 
     
     
    ***
     
     
    Er kam spät in Prag an.  
    Er beschloss, ein Zimmer zu nehmen, und erst am nächsten Tag zum Archiv zu fahren.  
     
     
    ***
     
     
    Der Weg durch die Innenstadt entpuppte sich als Spießroutenlauf. Noch nie hatte er so viele Touristen auf so engem Raum gesehen. Sie scharten sich um den Wenzelsplatz, sie belagerten das alte Rathaus, sie belästigten Jan Hus.  
    Sie steigerten mit ihrer Körperwärme die Temperatur des ohnehin schon heißen Spätsommertages ins Unerträgliche.  
    Zum vielleicht ersten Mal in seinem Leben war er erleichtert, als er von der bleiernen Stille, dem hypnotischen Stillstand eines Amtsgebäudes umarmt wurde – in   Form des tschechischen Stasi-Archivs. 
     
     
    ***
     
     
    Er hatte sich auf das Schlimmste eingestellt: Umfangreiche Überprüfung seiner Identität, ein Wust an auszufüllenden Formularen, hinhaltendes Bearbeiten seines Antrages.  
    Das Gegenteil trat ein.   
    Nachdem er dem freundlichen Portier sein Anliegen geschildert hatte, wurde er zur Rezeption geschickt, wo eine eifrige, junge Dame gegen Vorlage seines Passes seine Daten aufnahm und ihn dann bat, kurz auf dem Gang zu warten. Keine fünf Minuten später kam sie zu ihm und bat ihn, ihr zu folgen. Sie führte ihn einen Korridor entlang bis hin zu einer Tür. Als sie diese öffnete, konnte er einen kleinen, fensterlosen Raum erkennen, in seinem Zentrum ein einfacher Tisch, ein Stuhl mit einer zur Tür gewandten Rückenlehne, eine Leselampe.   
    Ein Verhörzimmer.  
    Auf dem Schreibtisch drei dicke Aktenordner.  
    Die junge Frau ging voran.  
    Er blieb stehen.  
    Sie ging weiter, bis in die Mitte des Zimmers, dann erst schien sie zu bemerken, dass er ihr nicht gefolgt war.  
    Sie sah ihn an.  
    Er sah zurück.  
    Dann veränderte sich etwas in ihrem Blick. Sie nickte, verstand.  
    „ Es tut mir leid, ich muss mich entschuldigen. Aber die Akten dürfen nur in diesen Räumen gelesen werden.“ 
    Er nickte.  
    „ Brauchen Sie ein wenig Zeit?“ 
    Er schwieg.  
    „ Möchten Sie vielleicht nach draußen gehen? Ein wenig spazieren? Sich ein wenig sammeln. Ich halte den Raum für Sie frei. Mit den Akten. Lassen Sie sich Zeit. Wenn Sie wiederkommen, kommen Sie einfach direkt zu mir, ich begleite ...“ 
    Er hob die Hand. „Danke, das ist sehr freundlich.“ Er straffte die Schultern. „Aber das wird nicht nötig sein.“  
    Sie lächelte. „In Ordnung.“  
    Er betrat den Raum.  
    „ Ich werde Sie alleine lassen. Ich muss vor der Türe auf Sie warten.“ Sie lächelte wieder. „Aber lassen Sie sich Zeit, ich lese gerade ein sehr gutes Buch.“ 
    Er nickte.   
    „ Danke.“ 
    Sie verschloss die Tür.  
     
     
    ***
     
     
    Es dauerte eine Weile, bis er sich setzen konnte. Vorher stellte er den Stuhl auf die andere Seite des Tisches, so dass sich die Türe vor- und nicht hinter ihm befand. 
    Dann irgendwann schlug er den ersten Ordner auf. Er schätzte das vor ihm liegende Material auf rund 700 Seiten.  
    Die erste Zeile auf dem ersten Blatt bestand aus zwei Wörtern: „Codove Jméno Slepice“.  
    Codename Huhn.   
    Es ging tatsächlich um ihn, so viel war klar.

1995
     
     
    Der kleine Koffer stand neben ihm auf dem Boden.    
    Sie stand im Raum. In der Hand ein Kuchen, frisch gebacken, mitgebracht, eingepackt in Frischhaltefolie, fragte Carolina: „Du verreist?“  
    „ Ja.“ Er wirkte geistesabwesend. „Zwei Wochen. Kuba.“ 
    „ Zwei Wochen? Und wo ist Dein richtiges Gepäck?“ 
    Er sah sie verständnislos an. „Richtiges Gepäck.“  
    Carolina lachte. „Also früher hast Du gewusst, wie man richtig packt.“ Sie zeigte auf das Gepäckstück: „Was hast Du da drinnen? Zwei Unterhosen, ein paar Socken und Deine Sonnencreme?“  
    Verlegen kratzte Alexander seinen Kopf. „Naja, in Kuba ist es heiß ...“  
    „ Was Du nicht sagst.“ 
    „ ... da braucht man nicht so viel ...“ 
    Sie begann aufzulisten: „Hose, Schuhe, Badehose, Zahnbürste ...“ Sie warf ihm einen der Blicke zu, wegen derer er sie vor mehr als 20 Jahren gefragt hatte, ob sie ihn heiraten würde. „ … bitte sag' mir, dass Du da drinnen eine Zahnbürste
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