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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann
Autoren: Daniel Silva
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Reisepass Brite, ja, aber in Deutschland geboren, in Frankreich aufgewachsen und jüdischen Glaubens. Nur eine Handvoll zuverlässiger Freunde wusste, dass Isherwood 1942 als Kinderflüchtling nach London gelangt war, nachdem zwei baskische Schäfer ihn über die verschneiten Pyrenäen getragen hatten. Und dass sein Vater, der renommierte Pariser Kunsthändler Samuel Isakowitz, mit Isherwoods Mutter im Konzentrationslager Sobibor ermordet worden war. Obwohl Isherwood die Geheimnisse seiner Vergangenheit sorgfältig gehütet hatte, war die Geschichte seiner dramatischen Flucht aus dem von Deutschen besetzten Europa dem israelischen Geheimdienst zu Ohren gekommen. Und Mitte der Siebzigerjahre, während einer Welle von palästinensischen Anschlägen auf israelische Ziele in Europa, war er als Sajan – als freiwilliger Helfer – angeworben worden. Isherwood hatte nur den einen Auftrag: Er sollte mithelfen, die operative »Legende« eines Kunstrestaurators und Attentäters namens Gabriel Allon aufzubauen und zu erhalten.
    »Merk dir bitte nur eines«, sagte Isherwood. »Du arbeitest jetzt für mich, nicht für sie. Dies ist nicht dein Problem, mein Lieber. Nicht mehr.« Er zielte mit der Fernbedienung auf den Fernseher, und das blutige Chaos in Paris und Kopenhagen verschwanden, zumindest vorläufig. »Sehen wir uns lieber was Schönes an, einverstanden?«
    Die begrenzten Räumlichkeiten in dem alten Lagerhaus hatten Isherwood dazu gezwungen, sein Imperium senkrecht zu staffeln: Bilderlager im Erdgeschoss, Geschäftsräume im ersten Stock und im zweiten Stock ein prachtvoller Ausstellungsraum nach dem Vorbild von Paul Rosenbergs berühmter Pariser Galerie, in der der junge Julian so viele glückliche Stunden zugebracht hatte. Als sie den Raum betraten, fiel die Mittagssonne durch ein Oberlicht herein und beleuchtete ein großformatiges Ölgemälde, das auf einer mit Musselin bedeckten Staffelei stand. Dargestellt waren eine Madonna und Kind mit Maria Magdalena vor einer idyllischen Landschaft im Abendlicht, ganz offensichtlich ein Werk der Venezianischen Schule. Chiara zog ihren kurzen Lackledermantel aus und setzte sich auf die Ottomane im Museumsstil in der Mitte des Raums. Gabriel blieb mit einer Hand an seinem schmalen Kinn und leicht zur Seite geneigtem Kopf dicht vor dem Gemälde stehen.
    »Wo hast du das gefunden?«
    »In einem großen Kalksteinklotz unweit der Küste in Norfolk.«
    »Hat der Klotz einen Besitzer?«
    »Der besteht auf Anonymität. Ich kann nur sagen, dass er einen Adelstitel trägt und riesige Ländereien besitzt, aber erleben muss, dass seine Bargeldreserven alarmierend rasch schwinden.«
    »Also hat er dich gebeten, ihm ein paar Gemälde abzunehmen, damit er sich noch ein Jahr über Wasser halten kann.«
    »Wenn er das Geld weiter mit vollen Händen ausgibt, gebe ich ihm höchstens zwei Monate.«
    »Wie viel hast du dafür bezahlt?«
    »Zwanzigtausend.«
    »Wie großzügig von dir, Julian.« Gabriel sah zu Isherwood hinüber und fügte hinzu: »Ich vermute, dass du deine Fährte verwischt hast, indem du ihm ein paar zusätzliche Gemälde abgekauft hast.«
    »Sechs wertlose Schinken«, gestand Isherwood ein. »Aber wenn sich bestätigt, was ich in diesem Fall vermute, war das eine gute Investition.«
    »Provenienz?«, fragte Gabriel.
    »Das Gemälde wurde von einem Vorfahren des Besitzers Anfang des neunzehnten Jahrhunderts auf dessen Kavalierstour durch Europa im Veneto gekauft. Seit damals war es im Familienbesitz.«
    »Zuschreibung?«
    »Werkstatt Palma Vecchio.«
    »Tatsächlich?«, fragte Gabriel skeptisch. »Wer behauptet das?«
    »Der italienische Kunstkenner, der den damaligen Verkauf vermittelt hat.«
    »War er blind?«
    »Nur auf einem Auge.«
    Gabriel lächelte. Viele der Italiener, die reisende englische Adlige »beraten« hatten, waren Scharlatane gewesen, die einen regen Handel mit wertlosen Kopien, die Meistern aus Florenz und Venedig zugeschrieben wurden, getrieben hatten. Gelegentlich war es vorgekommen, dass sie sich andersherum geirrt hatten. Isherwood vermutete, das vor ihnen auf der Staffelei stehende Gemälde falle in die zweite Kategorie. Das glaubte auch Gabriel. Als er mit dem Zeigefinger übers Gesicht der Magdalena fuhr, hatte er den Schmutz von zwei Jahrhunderten an der Fingerspitze.
    »Wo hat es gehangen? In einem Kohlebergwerk?«
    Er kratzte leicht an dem stark verfärbten Firnis. Dieser bestand wahrscheinlich aus Mastix oder Dammarharz, das in Terpentin aufgelöst
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