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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann
Autoren: Daniel Silva
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Cornwall kurz nach Tagesanbruch verlassen und in Begleitung seiner schönen italienischen Frau Chiara in seinen Range Rover gestiegen war. Weil Großbritannien mit einem geradezu orwellschen Netz aus Überwachungskameras überzogen ist, ließ sich feststellen, dass die beiden die Londoner Innenstadt in Rekordzeit erreichten und – wahrscheinlich durch eine göttliche Fügung – einen fast legalen Parkplatz an der Piccadilly fanden. Von dort aus gingen sie zu Fuß zum Mason’s Yard, einem ruhigen gepflasterten Innenhof mit Ladengeschäften in St.   James’s, und klingelten an der Tür von Isherwood Fine Arts. Nach Aufzeichnungen der Überwachungskamera auf dem Hof wurden sie um 11.40   Uhr eingelassen, obwohl Maggie, Isherwoods neueste mittelmäßige Sekretärin, in ihrem Besucherbuch irrtümlich 11.45   Uhr eintrug.
    Die seit 1968 auf italienische und niederländische Altmeistergemälde in Museumsqualität spezialisierte Galerie hatte ursprünglich in Bestlage der eleganten New Bond Street in Mayfair residiert. Als Hermès, Burberry, Cartier und dergleichen sie ins Exil in St.   James’s getrieben hatten, hatte sie dort drei Geschosse eines heruntergekommenen ehemaligen Lagerhauses von Fortnum & Mason übernommen. Unter den inzestuösen, lästerlichen Dorfbewohnern von St.   James’s stand die Galerie schon immer in dem Ruf, ziemlich gutes Theater zu bieten. Komödie und Tragödie, atemberaubende Höhepunkte und bodenlose Abgründe, alles immer mit einem Hauch von Verschwörung dicht unter der Oberfläche. Das lag größtenteils an der Person des Galeristen. Julian Isherwood litt unter einem für einen Kunsthändler fast tödlichen Makel – er besaß Gemälde lieber, als dass er sie verkaufte. Deshalb war er mit einem großen Lagerbestand an toter Ware belastet, wie sie in der Branche hieß. Gemälde, für die kein Käufer jemals einen fairen Preis zahlen würde. Gerüchteweise hieß es, Isherwoods Bestand werde nur von der Sammlung der englischen Königsfamilie übertroffen. Selbst Gabriel Allon, der seit über dreißig Jahren Gemälde für die Galerie restaurierte, hatte nur eine vage Vorstellung von Isherwoods Lagerbeständen.
    Sie trafen ihn in seinem Büro an – eine große, leicht gebeugte Gestalt, die an einem Schreibtisch lehnte, auf dem sich Kataloge und Monografien türmten. Zu einem grauen Nadelstreifenanzug trug Isherwood eine lavendelfarbene Krawatte, die ihm seine neueste Geliebte am Abend zuvor geschenkt hatte. Wie üblich wirkte er leicht verkatert, eine Note, die er kultivierte. Sein Blick war trübselig auf den Fernseher gerichtet.
    »Ihr habt die Nachrichten vermutlich gehört?«
    Gabriel nickte langsam. Chiara und er hatten die ersten Meldungen gehört, als sie durch die westlichen Vorstädte von London gefahren waren. Die Fernsehbilder stimmten ziemlich genau mit den Bildern überein, die vor Gabriels innerem Auge standen: die mit Plastikplanen abgedeckten Leichen, die mit Blut bedeckten Überlebenden, die Gaffer, die erschrocken ihre Hände vors Gesicht hielten. Daran änderte sich nie etwas. Das würde sich vermutlich auch in Zukunft nicht ändern.
    »Ich war erst letzte Woche mit einem Kunden zum Lunch im Fouquet’s«, sagte Isherwood und fuhr sich mit einer Hand durch seine ziemlich langen grauen Locken. »Wir haben uns an genau der Stelle verabschiedet, wo dieser Verrückte heute seine Bombe gezündet hat. Was wäre, wenn wir uns erst heute getroffen hätten? Ich hätte …«
    Isherwood brach ab. Eine typische Reaktion auf ein Attentat, dachte Gabriel. Die Lebenden versuchten immer, irgendeine Verbindung, und sei sie noch so vage, zu den Toten herzustellen.
    »Der Selbstmordattentäter in Kopenhagen hat Kinder mit in den Tod gerissen«, sagte Isherwood. »Kannst du mir bitte erklären, welcher Zweck durch die Ermordung unschuldiger Kinder gefördert wird?«
    »Angst«, sagte Gabriel. »Sie wollen uns Angst einjagen.«
    »Wann ist damit endlich Schluss?«, fragte Isherwood. Er schüttelte angewidert den Kopf. »Wann um Himmels willen hört dieser Wahnsinn auf?«
    »Du solltest wissen, dass diese Frage sinnlos ist, Julian.« Gabriel senkte die Stimme und fügte hinzu: »Schließlich beobachtest du diesen Krieg schon sehr lange aus der ersten Reihe.«
    Isherwoods Reaktion bestand aus einem melancholischen Lächeln. Sein urenglischer Name und sein ganz und gar britisches Auftreten tarnten die Tatsache, dass er im Grunde genommen gar kein Engländer war. Nach Nationalität und
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