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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann
Autoren: Daniel Silva
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Dank ab, und das Festival der Schönen Künste in Gunwalloe ging sang- und klanglos unter. Aber das machte nichts, denn einige Tage später erfuhren sie, der Restaurator habe das Haus auf der Klippe für ein weiteres Jahr gemietet. Auch diesmal zahlte er eine volle Jahresmiete auf höchst diskrete Weise über denselben obskuren Hamburger Anwalt im Voraus.
    Damit fand das Dorfleben zu einer gewissen Normalität zurück. Am späten Vormittag konnten sie den Restaurator sehen, wenn er mit seiner Frau ins Dorf kam, um Einkäufe zu erledigen, und am frühen Nachmittag war er wieder zu sehen, wenn er in seiner Barbour-Jacke und mit einer tief in die Stirn gezogenen flachen Mütze über die Klippen wanderte. Und wenn er es versäumte, höflich zu grüßen, nahmen sie ihm das nicht weiter übel. Wenn ihn irgendetwas zu beschäftigen schien, ließen sie ihn in Ruhe, damit er dem ungestört nachgehen konnte. Und kam einmal ein Fremder ins Dorf, beobachteten sie ihn auf Schritt und Tritt, bis er wieder fort war. Der Restaurator und seine Frau mochten ursprünglich aus Italien stammen, aber jetzt gehörten sie zu Cornwall, und Gott sei dem Dummkopf gnädig, der versuchte, sie von hier wegzuholen.
    Auf der Lizard-Halbinsel gab es jedoch ein paar Leute, nach deren Überzeugung hinter dieser Geschichte mehr steckte – und einen Mann, der zu wissen glaubte, was es war. Er hieß Teddy Sinclair, betrieb in Helson eine ziemlich gute Pizzeria und war leicht für große und kleine Verschwörungstheorien zu begeistern. Teddy glaubte, die Mondlandungen seien ein Schwindel. Teddy glaubte, die Anschläge vom 11.   September 2001 seien ein Insiderjob gewesen. Und Teddy glaubte, der Mann aus der Gunwalloe Cove habe mehr zu verbergen als die geheime Fähigkeit, Bilder zu heilen.
    Um seine Theorie ein für alle Mal zu beweisen, lud er die Dorfbewohner am zweiten Donnerstag im November in den Lamb & Flag ein und entrollte dort eine grafische Darstellung, die irgendwie Ähnlichkeit mit dem periodischen System der Elemente hatte. Angeblich bewies sie ohne jeden Zweifel, die Explosionen in den iranischen Atomanlagen seien das Werk eines legendären israelischen Geheimagenten namens Gabriel Allon gewesen – und ebendieser Gabriel Allon lebe jetzt unter dem Namen Giovanni Rossi friedlich in Gunwalloe. Als das Gelächter endlich verhallt war, bezeichnete Duncan Reynolds das als die dämlichste Idee, die ihm zu Ohren gekommen sei, seitdem irgendein Franzose beschlossen habe, Europa brauche eine gemeinsame Währung. Aber Teddy ließ sich nicht beirren, was sich nachträglich als völlig richtig erweisen sollte. Gewiss, er mochte unrecht haben, was die Mondlandungen und die Anschläge vom 11.   September betraf, aber in Bezug auf den Mann aus der Gunwalloe Cove stimmte seine Theorie hundertprozentig.
    Am folgenden Morgen, dem Gedenktag für die Gefallenen der beiden Weltkriege, verbreitete sich im Dorf die Nachricht, der Restaurator und seine Frau seien verschwunden. Vera Hobbs hastete in nahezu panischer Befürchtung in die Bucht hinüber und sah durch die Fenster des kleinen Hauses. Das Malmaterial des Restaurators lag auf dem niedrigen Tisch, und auf der Staffelei stand ein Gemälde von einer auf einem Sofa ausgestreckten Nackten. Vera brauchte einen Augenblick, bis sie kapierte, dass das Sofa mit dem im Wohnzimmer identisch war – und das Aktmodell mit der Frau, die jeden Vormittag in ihren Backshop kam. Trotz ihrer Verlegenheit konnte Vera sich kaum von dem Anblick lösen, denn das Bild gehörte zu den schönsten, die sie je gesehen hatte. Ein sehr gutes Zeichen sei das, sagte sie sich auf dem Rückweg ins Dorf. Kein Mann, der auf der Flucht war, würde ein solches Gemälde zurücklassen. Der Restaurator und seine Frau würden irgendwann wiederkommen. Und Gott sei dem verdammten Teddy Sinclair gnädig, wenn sie’s nicht taten.

2
    P ARIS
    Der erste Sprengsatz detonierte um 11.46   Uhr auf der Avenue des Champs-Élysées in Paris. Der Direktor des Nationalen Sicherheitsdiensts würde später sagen, er habe keine Warnung vor einem geplanten Anschlag erhalten – eine Behauptung, die seine Gegner für lachhaft gehalten hätten, wenn die Zahl der Bombenopfer nicht so hoch gewesen wäre. Die Warnsignale seien unverkennbar gewesen, sagten sie. Nur Blinde oder wissentlich Ignorante hätten sie übersehen können.
    Aus dem Blickwinkel Europas hätte der Anschlag zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Nach Jahrzehnten üppig dotierter
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