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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann
Autoren: Daniel Silva
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worden war. Entfernen ließe es sich nur in mühsamer Arbeit durch eine sorgfältig zusammengestellte Mischung aus Azeton, Methylproxitol und Terpentinersatz. Gabriel konnte nur vermuten, welche Baustellen ihn erwarteten, sobald der Firnis ganz abgetragen war: Archipele von Pentimenti, eine Wüste aus Oberflächenrissen und -spalten, große Farbverluste, die bei früheren Restaurierungen übertüncht worden waren. Und hinzu kam noch der Zustand der Leinwand, die vor Altersschwäche faltig herabsackte. Dagegen gab es nur ein Mittel: Die Leinwand musste neu aufgezogen werden – ein riskantes Verfahren, das auf Druck, Hitze und Feuchtigkeit basierte. Jeder Restaurator, der schon mal eine Leinwand neu aufgezogen hatte, konnte das durch Narben beweisen. Gabriel hatte einmal ein großes Stück eines Gemäldes von Domenico Zampieri zerstört, weil er ein Bügeleisen mit defektem Thermostat benutzt hatte. Auch wenn das vollständig restaurierte Gemälde wieder unversehrt wirkte, war es definitiv das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Zampieri und der Werkstatt Gabriel Allon.
    »Na?«, fragte Isherwood gespannt. »Wer hat das verdammte Ding gemalt?«
    Gabriel überlegte angestrengt. »Um eine definitive Zuschreibung vornehmen zu können, brauche ich Röntgenaufnahmen.«
    »Mein Mann kommt heute Nachmittag vorbei, um welche zu machen. Aber wir wissen beide, dass du für eine vorläufige Zuschreibung keine brauchst. Du bist wie ich, mein Lieber. Du gehst seit hunderttausend Jahren mit Gemälden um. Du erkennst ein Meisterwerk, wenn du eines siehst.«
    Gabriel angelte eine kleine Lupe aus der Innentasche seiner Lederjacke und untersuchte damit die Pinselstriche. Als er sich leicht nach vorn beugte, konnte er spüren, wie die vertraute Form seiner Beretta, einer 9-mm-Pistole, sich in seine linke Hüfte grub. Seit er mit dem britischen Geheimdienst zusammengearbeitet hatte, um das irakische Atomprogramm zu sabotieren, durfte er zu seinem persönlichen Schutz ständig eine Waffe tragen. Außerdem hatte er einen britischen Pass bekommen, den er für Auslandsreisen benutzen durfte, solange er nicht im Auftrag seines alten Diensts unterwegs war. Aber das ließ sich praktisch ausschließen. Die illustre Laufbahn Gabriel Allons war definitiv beendet. Er war nicht länger Israels Racheengel. Er war ein Restaurator, der für Isherwood Fine Arts arbeitete, und England war seine neue Heimat.
    »Du vermutest etwas Bestimmtes«, sagte Isherwood. »Das sehe ich in deinen grünen Augen.«
    »Das tue ich«, bestätigte Gabriel, der weiter fasziniert die Pinselstriche betrachtete, »aber ich möchte erst eine zweite Meinung hören.«
    Er sah sich über die Schulter hinweg nach Chiara um. Sie spielte mit einer Strähne ihrer wilden Locken und machte dabei ein leicht nachdenkliches Gesicht. In dieser Pose sah sie den Frauen auf dem Gemälde täuschend ähnlich. Was kaum überraschend war, wie Gabriel wusste. Chiara, die von Juden abstammte, die 1492 aus Spanien vertrieben worden waren, war in Venedig im ehemaligen Ghetto aufgewachsen. Es war durchaus möglich, dass einige ihrer Vorfahren Meistern wie Bellini, Veronese oder Tintoretto Modell gestanden hatten.
    »Was denkst du?«, fragte er.
    Chiara trat neben Gabriel vor das Gemälde und schnalzte wegen seines Zustands missbilligend mit der Zunge. Obwohl sie an der Universität Römische Geschichte studiert hatte, hatte sie schon viele von Gabriel vorgenommene Restaurierungen begleitet und war dadurch selbst zu einer ausgezeichneten Kunsthistorikerin geworden.
    »Dies ist ein ausgezeichnetes Beispiel für eine Sacra Conversazione , ein Gespräch unter Heiligen, eine idyllische Szene, in der die Personen vor einer ästhetisch friedvollen Landschaft angeordnet sind. Und wie jedes Kind weiß, gilt Palma Vecchio als der Erfinder dieser Form.«
    »Was hältst du von dem Zeichenstil?«, fragte Isherwood wie ein Anwalt, der einer wohlgesonnenen Zeugin einen Hinweis gibt.
    »Für Palma ist sie eigentlich zu gut«, antwortete Chiara. »Seine Palette war konkurrenzlos, aber er ist nie für einen sehr guten Zeichner gehalten worden – nicht einmal von seinen Zeitgenossen.«
    »Und die Frau, die Modell für die Madonna gestanden hat?«
    »Wenn ich mich nicht irre, was unwahrscheinlich ist, hat sie Violante geheißen. Sie erscheint auf einigen von Palmas Gemälden. Aber in Venedig hat es damals einen weiteren berühmten Maler gegeben, der sie sehr gern gemocht haben soll. Sein Name war …«
    »Tiziano
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