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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt
Autoren: Trevor Shane
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uns erstreckte sich die Wüste. Sie schien endlos. Diese Erinnerung hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt und quält mich noch immer. Ich hatte keine Ahnung, ob ich deinen Vater jemals wiedersehen würde, aber ich schwöre, dass ich keine Sekunde zögerte. Ich hielt dich fest an meine Brust und hatte meinen Daumen noch immer in deinem Mund. Ich blickte mich nicht um, sondern sah nach vorne, vorbei an dem Baum mit der imaginären Reifen-Schaukel, die es nie gegeben hatte und nie geben würde. Dahinter war nichts als flache, von der Sonne verbrannte Erde. Ich konnte kein einziges anderes Haus und keine einzige Straße sehen. Deshalb hatte dein Vater dieses Haus ausgesucht. Er glaubte, die Abgeschiedenheit würde uns Schutz bieten. Ich wollte mich mit dir so weit wie möglich vom Haus entfernen, bevor du anfingst zu schreien. Ich hatte keine Ahnung, was dein Vater vorhatte. Nichts hätte mich überrascht. Er hatte sich schon einmal bereit erklärt, sein Leben für dich zu opfern, bevor du überhaupt auf der Welt warst, als wir aus Charleston flohen, aber irgendwie war er verschont worden. Ich wusste nicht, was dein Vater tun würde, doch ich wusste, dass es meine Aufgabe war wegzulaufen, also lief ich weg. Wir kamen von der Hintertür etwa zehn Schritte weit, als ich ein schreckliches, krachendes Geräusch hörte. Es war ein Geräusch, das ich erkannte, ein Geräusch, an das ich mich inzwischen zu sehr gewöhnt hatte. Ich hielt im Laufen inne, das Geräusch im Ohr, das irgendwo zwischen dem Knallen einer Peitsche und dem Donnern einer Kanone lag. Es kam nicht aus dem Haus, wie ich beinahe erwartet hatte, sondern ertönte unmittelbar hinter mir. Ich blieb abrupt stehen, als sei ich an einem Abgrund angelangt, und drückte dich noch fester an mich, damit sie dich nicht erschießen konnten, ohne mich ebenfalls zu erschießen. Dann ertönte das krachende Geräusch erneut: Diesmal sah ich anderthalb Meter vor mir Staub aufwirbeln, als würde eine winzige rote Rauchfahne vom Boden emporsteigen. Du fingst an zu schreien. Selbst mit meinem Daumen im Mund schriest du lauter, als ich dich jemals hatte schreien hören. Ich hätte am liebsten ebenfalls geschrien. Ich wusste, dass dein Vater dein Schreien hören würde, falls er noch am Leben war, und wüsste, dass ich versagt hatte.
    Ich drehte mich um und blickte zurück. Zwei Männer standen neben der Hintertür unseres Hauses, der Tür, durch die ich soeben nach draußen gerannt war. Einer von ihnen hielt eine kleine Pistole auf Höhe seiner Taille. Der andere hatte ein Gewehr an die Schulter gelegt und zielte auf den Boden vor uns. »Ich würde an deiner Stelle lieber stehen bleiben«, sagte der Mann mit der Pistole. Sein freundlicher Tonfall hielt mich nicht davon ab, ihn zu hassen. »Warum kommst du nicht einfach mit uns rein?«, fügte er hinzu. Er war ein hässlicher Kerl, klein und untersetzt mit einer Knollennase. Der andere Mann hielt sein Gewehr weiterhin auf Schulterhöhe, zielte auf uns und machte es mir dadurch unmöglich, sein Gesicht zu sehen. Ich ging die zehn Schritte zum Haus zurück. Mir blieb nichts anderes übrig. Dann ging ich an den beiden Männern vorbei ins Haus. Dabei drückte ich dich noch fester an mich. Ich wusste nicht, was sie mit uns vorhatten, aber ich würde dich nicht hergeben, nicht ohne Gegenwehr. Ich drückte dich an meine Brust, um dir das Gefühl zu vermitteln, dass du nichts zu befürchten hattest. Die beiden Männer folgten uns ins Haus.
    Drinnen war es merklich kühler, wenn man aus der Wüstensonne kam. Als wir uns wieder im Haus befanden, blickte ich mich um. Alles schien in Ordnung zu sein. Nichts deutete auf einen Kampf oder eine tätliche Auseinandersetzung hin. Alles war beinahe unheimlich ruhig. Dein Vater saß im Wohnzimmer auf der Couch. Von dort, wo ich stand, sah ich einen Mann auf der anderen Seite des Couchtisches deinem Vater gegenübersitzen. Zwei weitere Männer standen bei der Eingangstür. Ich erkannte sie allein anhand ihrer Statur als die Männer hinter den Buntglasfenstern wieder. Beide hatten eine Pistole. Die zwei Männer, die dir und mir ins Haus gefolgt waren, blieben an der Hintertür stehen. Auf diese Weise hielten sie sämtliche Ausgänge besetzt.
    Der Mann, der deinem Vater gegenübersaß, blickte auf, als wir hereinkamen. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Dann sah er dich an. In diesem Blick erkannte ich alles, was ich wissen musste. Ich erkannte Hass in diesem Blick. Der Mann machte mir Angst. Er
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