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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt
Autoren: Trevor Shane
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erneut in ihm aufloderte, und, um ehrlich zu sein, ich war froh darüber.
    Erst als dein Vater nur noch ein oder zwei Schritte von uns entfernt war, warf ich schließlich einen Blick zur Haustür. Die Tür bestand aus hellbraunem Holz und hatte zwei dünne Buntglasfenster, die farbiges Licht – rot, grün, blau und gelb – auf den Boden warfen. Als ich zur Tür blickte, sah ich zwei Gestalten hinter dem Buntglas stehen. Wegen der Farben konnte ich nur die Silhouetten von zwei großen, massigen Körpern erkennen. Der dritte Mann hinter der Tür, derjenige, der geklopft hatte, war durch die Scheiben nicht zu sehen. Dein Vater trat, ohne zu zögern, zwischen uns und die Tür, um den Männern mit seinem Körper den Blick auf uns zu versperren, falls sie versuchten, durch die Buntglasscheiben zu spähen. Als er bei uns ankam, streckte er die Hand aus und steckte dir seinen Daumen in den Mund. Du fingst sofort an, daran zu saugen wie an einer Brust. Unmittelbar darauf klopfte es ein drittes Mal.
    Ich hielt dich ganz nah an mich. »Ich komme sofort«, rief dein Vater in Richtung Haustür. Dann drehte er sich zu uns um und flüsterte: »Nimm Christopher. Geh zur Hintertür hinaus.« Er hielt einen Moment inne und wartete, bis ich nickte, damit er sich sicher sein konnte, dass ich verstanden hatte. Dann sprach er weiter: »Geh nicht zum Auto. Geh einfach so weit wie möglich von hier weg. Geh geradeaus. Mach Boden gut.« Ich wollte etwas sagen, doch dein Vater legte mir seine freie Hand auf den Mund. Er schüttelte den Kopf, um mir zu verstehen zu geben, dass ich nicht sprechen, dass ich keinen Laut von mir geben sollte. Ich war froh, dass er das tat, da ich ohnehin nicht wusste, was ich hätte sagen sollen. »Geh jetzt. Wann immer du die Wahl hast, geh nach Norden.« Ich wusste, dass ich Fragen hätte stellen sollen, doch mir fielen nicht die richtigen Fragen ein. Angst nahm den gesamten Platz in meinen Gedanken ein. »Ich finde euch«, sagte dein Vater zu mir und beantwortete damit die wichtigste Frage, ohne darauf zu warten, dass ich sie stellte. Dann nahm er meine Hand, hielt sie sich vors Gesicht und küsste meine Fingerspitzen. Nachdem er meine Hand geküsst hatte, nahm er seinen Daumen aus deinem Mund und steckte stattdessen meinen hinein. Ich spürte, wie dein Zahnfleisch auf meinen Daumen drückte, und einen Sekundenbruchteil später drehte sich dein Vater zur Haustür um. Er blickte nicht zurück, um sich zu vergewissern, ob ich tat, worum er mich gebeten hatte. Er wusste, dass ich es tun würde. Ich liebte deinen Vater. Ich wollte ihn nicht verlassen. Aber mir blieb nichts anderes übrig. Dein Vater hatte mich nicht dazu aufgefordert wegzulaufen, um mich selbst in Sicherheit zu bringen. Er hatte mich aufgefordert wegzulaufen, um dich in Sicherheit zu bringen.
    Ich bin diesen Nachmittag immer und immer wieder im Kopf durchgegangen und habe gegrübelt, ob es einen Moment gab, in dem ich irgendetwas hätte tun können, um unser Schicksal zu ändern. Dieser Gedanke verfolgte mich wochenlang. Er zehrte jeden Augenblick jedes Tages auf. Irgendwann wurde mir dann bewusst, dass ich nicht in der Vergangenheit verharren durfte. Selbst wenn ich irgendetwas hätte anders machen können, Tatsache war, dass ich es nicht gemacht hatte. Die Vergangenheit ist die Vergangenheit, Christopher. Sie ist irrelevant, es sei denn, man kann aus ihr etwas für die Zukunft lernen.
    Ich drehte mich noch einmal kurz zu deinem Vater um, als er gerade die Hand nach der Türklinke ausstreckte. Die massigen Schatten standen noch immer hinter dem Buntglas. Wir mussten weg. Wir mussten aus dem Haus, bevor dein Vater die Tür öffnete, und hoffen, dass uns niemand sah. Ich ging mit dir auf dem Arm durch die Glasschiebetür, die von der Küche nach draußen führte, und war bereit loszulaufen. Ich hatte nicht daran gedacht, irgendetwas mitzunehmen. Über Essen und Windeln konnten wir uns später Sorgen machen. Dein Vater hatte mich aufgefordert wegzulaufen, also hatte ich vor wegzulaufen. Geradeaus. Wenn möglich in Richtung Norden. Die Instinkte deines Vaters sagten ihm, dass das Klopfen an der Tür Gefahr bedeutete, und meine Instinkte sagten mir, dass ich ihm glauben sollte.
    Ich trat ins Freie auf die harte rötliche Erde und hielt dich fest an mich gedrückt. Die Sonne stand bereits tief am Himmel, aber es war noch immer heiß. Ich kann mich noch deutlich daran erinnern, wie still die Luft war, als hätten wir uns auf einem Filmset befunden. Vor
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