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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt
Autoren: Trevor Shane
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war. Ich weiß nicht, was ich dir gesagt hätte, wenn du mich jemals gefragt hättest, wie ich diese Nacht überlebt habe. Doch du hast mich nie gefragt. Ich glaube, du bist letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass es einige Dinge gibt, die du einfach nicht wissen willst.
    Manchmal überlege ich noch immer, wie ich überlebt habe, warum ich überlebt habe. Ich habe verschiedene Theorien, aber keine davon ergibt einen Sinn. Vielleicht sollte ich es unter göttliches Eingreifen verbuchen. Irgendetwas hat sich eingemischt und mich und unseren Sohn gerettet. Wahrscheinlich sollte ich mir ein Beispiel an dir nehmen. Vielleicht gibt es einige Dinge, die ich einfach nicht wissen will.

ZWANZIGSTES KAPITEL
    Heute ist unser Sohn auf die Welt gekommen. Er ist wunderschön. Er ist mehr als vollkommen. Selbst Vollkommenheit kann nicht so perfekt sein. Sein Name ist Christopher. Er hat deine Augen. Der Arzt sagt, dass sich die Augenfarbe häufig noch ändert, wenn Kinder älter werden. Ich hoffe, seine ändert sich nicht. Ich hoffe, dass er für immer deine Augen haben wird.
    Der Arzt entband dich bei uns zu Hause. Offenbar ist das hier nichts Ungewöhnliches. Wie wir besitzen viele Leute keine Krankenversicherung. Er sagte, er habe gern geholfen und Geburten seien das, was ihm an seinem Beruf am meisten Spaß mache. Du warst unglaublich tapfer. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie solche Tapferkeit gesehen. Du warst still und entschlossen, als seien die Schmerzen nicht mehr als ein Ärgernis, für das du keine Zeit hattest. Ich hoffe, Christopher weiß, welches Glück er hat, dich als Mutter zu haben. Ich hoffe, er weiß, dass es auf dieser Welt nichts gibt, was sich mit deiner Liebe zu ihm und den Opfern, die du für ihn gebracht hast, vergleichen lässt. Deinen Gesichtsausdruck, als der Arzt ihn dir reichte, werde ich niemals vergessen. Dieser Gesichtsausdruck hat mich für alles entschädigt, was ich in meinem Leben durchgemacht habe. Endlich habe ich der Welt etwas gegeben, das von Bedeutung ist.
    Ich war froh, dass unser Sohn zu Hause auf die Welt kommen konnte, da ich nach dem Debakel in Charleston Angst davor hatte, wieder ein Krankenhaus zu betreten. Außerdem ist Christophers Geburt auf diese Weise durchs Raster gefallen. Es ist nirgendwo vermerkt, dass er überhaupt existiert. Niemand kann rekonstruieren, woher er kommt. Offiziell wurde er von Geistern geboren. Hoffentlich wird das dafür sorgen, dass er in Sicherheit ist.
    Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, was ich empfinde. Vielleicht bin ich einfach zu erschöpft. Vielleicht gibt es dafür aber auch gar keine Worte. Heute ist unser Sohn auf die Welt gekommen. Ich fühle mich, als wäre ich mit ihm wiedergeboren worden. Danke, Maria. Du hast mir ein unbeschreibliches Geschenk gemacht. Du hast mir mehr gegeben, als ich verdiene.

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
    Es ist kurz nach drei Uhr morgens. Du liegst im Bett und schläfst. Der kleine Christopher ist sich noch nicht ganz klar über den Unterschied zwischen Tag und Nacht. Ich bin sicher, das wird sich noch ändern. Er ist erst anderthalb Wochen alt. Momentan bin ich darüber allerdings recht froh. Da wir es uns nicht leisten können, dass ich aufhöre zu arbeiten, bekomme ich unseren kleinen Jungen auf diese Weise zu sehen. Er ist so klein. Er wacht jede Nacht fast zur selben Zeit auf und schreit. Meistens schreit er, weil er Hunger hat, und dann musst du mit ihm aufstehen. Doch gegen drei Uhr morgens wacht er immer nur deshalb auf, weil er gehalten werden möchte. Das kann ich ihm nicht verübeln. Allein zu sein ist unheimlich.
    Wenn er um drei Uhr aufwacht, versuche ich, dich schlafen zu lassen. Seit du stillst, bist du immer ziemlich erschöpft. Außerdem gefällt es mir, Zeit allein mit ihm zu verbringen – wir Männer unter uns. Es gefällt mir, dass ich ihn beruhigen kann, indem ich ihn einfach nur nehme und halte. Manchmal stelle ich mir vor, dass er nachts schreit, obwohl er gar keinen Hunger hat, weil er weiß, dass ich ihn dann auf den Arm nehme. Wenn ich ihn aus seinem Bettchen hebe und auf meinen Schoß lege, streckt er oft die Hand aus und umklammert einen meiner Finger. Unser Junge hat einen ziemlich festen Griff. Er hält sich an meinem Finger fest, als würde er ins Leere fallen, wenn er ihn loslässt.
    Er schläft gerade in meinem Schoß. Ich könnte ihn wieder in sein Kinderbett legen, aber das möchte ich nicht. Ich möchte ihn noch eine Weile halten.
    Der Mond scheint hell, hell genug,
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