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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt
Autoren: Trevor Shane
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verloren in unserer kleinen Traumwelt. Wir glaubten, alles könne in Erfüllung gehen, wenn man es sich nur fest genug wünscht, und hofften, dass das, was wir bereits geopfert hatten, genügen würde. Wir hatten alles aufgegeben – alles, außer uns selbst und dir. Du warst ein solcher Segen, ein Geschenk, das sich mit Worten nicht beschreiben lässt. Dann kamen sie, um dich zu holen. Wir hatten dich erst seit vier Wochen, die wundervollsten Wochen meines Lebens. In diesen vier Wochen hast du mir mehr gegeben, als ich dir jemals zurückgeben kann.
    Ich wünschte, ich hätte irgendeine Möglichkeit, um dir zu zeigen, wie sehr du deinen Vater verändert hast. Ich erinnere mich, ihn dabei beobachtet zu haben, wenn er dich hielt. Er legte die Hände um dich und hielt dich unsagbar vorsichtig. Manchmal schriest du, dann brauchte er dich nur auf den Arm zu nehmen, und schon hörtest du wieder auf. Er legte dich immer auf seine Brust, wenn er auf dem hässlichen grünen Sofa lag, das wir im Wohnzimmer stehen hatten, und du schliefst ein wie ein kleiner Engel. Du bewegtest dich auf und ab, während dein Vater atmete. Wir überlegten, wie wir das kleine Haus verschönern könnten, damit du darin aufwachsen konntest wie ein normales Kind. Im Garten stand ein alter grauer und knorriger Baum, der letzte Baum vor vielen Meilen öder Wüste. Dein Vater sprach die ganze Zeit davon, dass er an einem seiner Äste mit einem Seil einen Autoreifen befestigen wolle, damit du eine Schaukel hättest, wenn du älter wärst. Ich wünschte, es wäre noch dazu gekommen. Ich wünschte, ich hätte echte Erinnerungen daran, wie dein Vater dich auf der Reifen-Schaukel anschubst, und nicht nur Träume von Erinnerungen, die nie existiert haben.
    Manchmal taten wir so, als wären wir tatsächlich eine normale Familie. Wir sprachen tagelang nicht über den Krieg. Doch wie sehr wir uns auch verstellten, wie sehr dein Vater auch versuchte, so zu tun, als sei alles normal, er vergaß nie, wer wir waren oder warum wir uns abschotteten und am Ende der Welt versteckten. Er dachte stets daran. Das weiß ich, weil er im Schlaf oft Selbstgespräche führte. Weil er im Schlaf murmelte und schrie. Tagsüber benahm er sich jedoch mir und dir zuliebe völlig normal. Wir wollten unbedingt unser Leben mit dir verbringen, wollten vergessen und vergessen werden. Wir wollten einfach nur von ihnen in Ruhe gelassen werden. Aber es war noch nicht vorbei. Sie haben uns nicht vergessen, Chris. Und wenn du dir nur eines von dem merkst, was ich dir beibringen möchte, dann merke dir, dass sie niemals vergessen.
    Sie kamen an einem Sonntagnachmittag, um dich zu holen. Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich überhaupt keine Erinnerungen außer den Erinnerungen an jenen Tag, als seien alle anderen Erinnerungen von fünf bewaffneten Männern ausgelöscht worden. Es schien ein ganz normaler, friedlicher Sonntag zu sein, bis es an der Haustür klopfte. Wer sollte bei uns klopfen? Wir sprachen mit kaum jemandem, abgesehen von dem Arzt, der dich zur Welt brachte, und den Arbeitskollegen deines Vaters. Dein Vater bestand darauf, dass wir uns um deiner Sicherheit willen bedeckt hielten. Doch es war alles umsonst. Sie wussten von Anfang an, wo wir waren.
    Die Erinnerung an das hohle Geräusch des Klopfens an der Tür jagt mir noch immer Angst ein. Ich hörte ein lautes Pochen, auf das eine lange Pause folgte, als wartete derjenige, der geklopft hatte, dass das Echo verstummte. Ich saß mit dir auf dem Schoß in der Küche. Zunächst dachte ich mir nichts dabei. Leute klopfen nun einmal an Türen. Nur an unsere Tür hätte niemand klopfen sollen.
    Beim zweiten Pochen war dein Vater bereits aufgestanden und kam zu uns. Er hatte im Wohnzimmer auf der Couch gelegen und Zeitung gelesen. Ich sorgte sonntags immer dafür, dass er sich ausruhen konnte, da ich wusste, wie hart er unter der Woche arbeitete. Ich sah, wie er auf uns zukam. Er ging völlig lautlos. Er hatte, schon lange bevor wir uns begegneten, gelernt, so zu gehen, rasch, aber lautlos. Als ich ihn so auf uns zugehen sah, wurde mir bewusst, dass ich Angst haben musste. Du solltest wissen, dass dein Vater vor deiner Geburt ein sehr gefährlicher Mann war. Ich hatte alles Erdenkliche getan, um ihn zu zähmen, doch wirklich verändert hat er sich erst, als du auf die Welt kamst. Als er das Klopfen an der Tür hörte, verwandelte er sich beinahe augenblicklich wieder in diesen gefährlichen Mann. Ich sah, wie die Paranoia
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