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Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten
Autoren: Gideon Samson
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selbst viel«, sagt Jan und betrachtet mich eingehend. Ich bin ja auch ziemlich interessant.
    »Na, kannst du auch alles gut sehen?«, frage ich.
    Jan tut, als würde er mich nicht hören. »Wie heißt du?«, fragt er. »Ich heiße Jani.«
    Das ist verrückt. Jan nennt sich selbst Jani. Er ist eben noch ein Jüngelchen. Ein Jani. Ich finde, Jani passt eigentlich ganz gut zu ihm.
    »Ich heiße Belle«, sage ich.
    »Wie in
Die Schöne und das Biest
«, sagt Jani.
    Ja. Er ist wirklich noch ein Jani. Ich könnte ihm erklären, dass Belle einfach von
Schön
kommt. Nicht von
DieSchöne und das Biest
. Aber eigentlich macht das keinen großen Unterschied.
    »War das deine Mutter?«, fragt Jani.
    Ich nicke.
    »Musste sie weg?«
    »Sie musste eine Zigarette rauchen.«
    »Vom Rauchen stirbt man!«
    »Na klar doch«, sage ich. »Deshalb hört sie ja auch damit auf.«
    Jani schaut zur Tür. »Und wo ist dein Vater?«, fragt er.
    »Bei Renate.«
    »Wer ist Renate?«
    »Seine Freundin!«
    »Sind deine Eltern geschieden?«
    Jan ist ein richtiges Plappermaul. Ein fragendes. Und er benutzt die ganze Zeit Ausrufezeichen. Es reicht mir langsam.
    »Mir ist schlecht«, sage ich. »Ich muss mich jetzt ausruhen.«
    »Ach«, sagt Jani. »Schade!«
    Ich drehe mich um. Ich höre, dass Jani den Fernseher eingeschaltet hat. Nicht den Ton, den gibt es aus Kopfhörern. Nur das Summen.

    Eine Erinnerung.
    Es war vor zwei Monaten. Ich lag schon eine Woche lang auf dem Sofa. Mit einer Wärmflasche. Und einem Extrakissen. Es half nichts.
    »Saft?«, fragte Mama.
    Ich wollte keinen Saft, aber Mama hatte schon drei Mal gefragt und eigens für mich Apfelsinen gekauft, also sagte ich Ja. Ein Saft, das waren pure Vitamine. Das konnte nicht schaden.
    »Hier«, sagte Mama. »Austrinken.«
    Ich nahm das Glas und trank. Eine Sekunde später kam es wieder heraus. Mit dem Cracker, den ich an diesem Tag gegessen hatte, und was sonst noch so in meinem Magen herumschwamm. Es war auf Mamas Hose. Und auf der Decke.
    »Jetzt reicht es aber!«, rief Mama. Sie klang wütend. Auf mich. Das dachte ich jedenfalls. Wegen der Hose und der Decke. Aber Mama ging zum Telefon und rief unseren Arzt an. Sie sagte, wir kämen jetzt zu ihm. Nein, nicht morgen. Nein, nicht heute Nachmittag.
    »Jetzt«, sagte sie. »Ja, jetzt. Dem Kind geht und geht es nicht besser. Ich mache mir Sorgen, verdammt!« Mama legte auf und schleppte mich zum Auto.
    Bei unserem Arzt kam das, was nicht mehr drin war, noch einmal heraus. Auch durch die Autofahrt, denn dadurch war mir zusätzlich schlecht geworden.
    »Kein Grund, sich gleich zu sorgen«, sagte unser Arzt, »aber sicherheitshalber schicke ich Sie zum Internisten.«
    Er griff zum Telefon und wir durften sofort weiter ins Krankenhaus. Da wusste ich noch nicht, dass ich zwei Monate später immer noch dort sein würde.

    Annie kommt. Die dicke Annie. Sie bringt Medikamente. Für Jani und für mich.
    »Hm, lecker!«, sagt Jani.
    Annie lacht. Sie nennt ihn einen Witzbold. Jani ist ein Plappermaul und ein Witzbold.
    »Belle«, sagt Annie, »es muss wieder mal sein.«
    Ich sage, dass mir schlecht ist. Und dass die Medikamente es nur noch schlimmer machen.
    »Aber sie helfen dir, wieder gesund zu werden.«
    Das weiß ich. Deshalb nehme ich sie. Trotzdem wollte ich das mal sagen.
    »Kriegst du heute Nachmittag noch Besuch?«, fragt Annie.
    Ich schlucke und nicke. Opa und Oma kommen. Und Brie vielleicht. Die kommt immer unerwartet. Und unerwünscht.
    »Schön«, sagt Annie.
    »Schön!«, sagt Jani.
    Ich habe alles unten. Ich drehe mich um und tue, als wollte ich schlafen. Wenn man sehr krank ist, darf man das. Ohne dass es unhöflich ist.
    »Sie schläft.«
    Das ist Opa. Das höre ich gleich. Niemand hat eine so liebe Stimme wie er. Selbst Oma nicht.
    Ich drehe mich um.
    »Nein, tut sie nicht«, sagt Opa. Er kommt an mein Bett und umarmt mich. Opa küsst nie. Er umarmt. Das ist viel schöner.
    »Liebe Belle«, sagt Opa. »Wie ich mich freue, dich zu sehen.«
    »Ja, Opa.«
    Oma hat noch nichts gesagt. Sie wartet. Sie steht hinter Opa und hat ein Buch in der Hand. Sie bringt immer Bücher mit. Aber nie eingepackt. So sind es keine Geschenke. Es sind Bücher von früher. Oma hat sie gelesen, als sie so alt war wie ich. Es ist schön, keine Geschenke zu bekommen.
    »Hallo, Oma«, sage ich.
    »Tag, mein Liebling«, sagt Oma. Sie legt das Buch auf mein Nachtschränkchen. Neben den Stein.
    »Danke schön«, sage ich.
    Oma schaut auf den Stein. Und dann zu mir.
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