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Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten
Autoren: Gideon Samson
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Es macht mich krank. Ich schließe die Augen. Nicht an die Übelkeit denken. Nicht ans Kranksein denken. Ich versuche, mir schöne Dinge durch den Kopf gehen zu lassen. Es klappt überhaupt nicht.
    »Doch lieber ausmachen?«, fragt Mama.
    Ich antworte nicht. Hab grad keine Lust dazu. Mama schaltet den Fernseher aus. Ich halte die Augen geschlossen. Ich fühle es wieder kommen. Es kriecht hoch. Von meinem Bauch bis zum Hals.
    »Niere!«, sage ich.
    Mama reagiert schnell. Ich ziele sauber hinein. Es tut weh. Es tut immer weh.
    »Fertig?«, fragt Mama.
    Ich wünschte, es wäre so.

EIN STEIN
    Ich liege allein in einem Zimmer. Weil ich sehr krank bin. Und weil Mama es so lieber hat. Dann kann sie schön laut weinen, wenn sie bei mir ist. Ohne dass jemand es hört. Außer mir.
    Mama ist oft bei mir. Jeden Tag. Und wenn es ginge, noch öfter. Sie bringt Bücher mit. Und Grußkarten von Leuten, die an mich denken.
    Viele Leute wissen nicht, dass man einem auch einfach eine Karte ins Krankenhaus schicken kann.
    »Die hier ist von Sonja«, sagt Mama.
    Ich schaue mir die Vorderseite an. Sie zeigt einen Elefanten. Ganz eingegipst.
Gute Besserung!
, steht darunter.
    »Weißt du noch, wer Sonja ist?«
    »Ja«, lüge ich. Ich drehe die Karte um.
    Liebes!
    Weißt Du noch, wer ich bin? Fred und ich denken viel an Dich!
    Gehen wir bald wieder zu den Elefanten mit den großen Pimmeln?
    Viele Grüße und Küsse
    Sonja
    Jetzt weiß ich wieder, wer Sonja ist. Eine Freundin von Mama. Von früher. Wir sind mit ihr im Zoo gewesen. Vor zwei Jahren. Und anschließend haben wir mit Fred und einem eigenartigen Mann in einem Restaurant gegessen. Und Sonja fand, Mama sollte sich in diesen merkwürdigen Mann verlieben.
    »Lieb, nicht?«, sagt Mama.
    »Ja.«
    »Alle denken an dich.«
    Und wenn schon. Ich bin müde. Und schlecht ist mir. Das kommt oft zusammen. Ich lege mich etwas bequemer hin. Mama nimmt ein Buch. Es ist eines von meinen. Meine Bücher gefallen ihr. Ich drehe mich um. Es hilft ein kleines bisschen gegen die Übelkeit. Oder ich bilde es mir ein. Aber das hilft auch.
    Ich kann nicht schlafen. Die Übelkeit. Ich höre, wie Mama die Seiten umblättert. Ich zähle mit. Bei vierundsiebzig blättert sie um. Dann bei zweiundachtzig. Bei achtundsechzig. Mama liest ganz schön schnell.
    Ich höre auf zu zählen. Es bringt ja doch nichts.
    »Ich gehe«, sagt Mama.
    »Warum?«, frage ich.
    »Du weißt schon«, sagt Mama.
    Stimmt. Ich weiß schon. Aber ich finde es albern und deshalb frage ich trotzdem.
    »Bleib doch einfach, Ma.«
    »Nein, nein.«
    »Er beißt nicht.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher.« Mama wird unruhig auf ihrem Stuhl. Sie hat Angst, dass Papa kommt und sie aus Versehen noch da ist. Und dass er beißt.
    »Gut, dann geh«, sage ich.
    »Soll ich?«, fragt Mama. »Oder soll ich doch lieber bleiben?«
    Genau das kann ich überhaupt nicht ausstehen. Das sagt sie nämlich nur meinetwegen. Und meint es noch nicht mal ernst. Denn am liebsten will sie auf der Stelle weg. Sie hat echt Angst vor Papa.
    »Geh schon!« Ich verwende ein Ausrufezeichen, das muss sein. Wenn ich jetzt nicht achtgebe, spielt Mama verrückt und bleibt, obwohl sie fort will. Und dann kommt Papa und sie streiten sich.
    »Okay«, sagt Mama.
    »Okay«, sage ich.
    Mama gibt mir einen Kuss. »In einem Stündchen bin ich wieder da«, sagt sie. Sie steht auf.
    »Dann schon?«, frage ich.
    »Ja, dann schon.«
    Ich weiß, was Mama jetzt denkt. Ich sage nichts dazu.
    »Bis nachher.«
    Mama nickt. »Ja, bis nachher.«
    Sie geht weg. Dann dreht sie sich um. Mama muss doch noch etwas dazu sagen.
    »Eine Stunde scheint mir mehr als ausreichend«, sagt sie. Und sofort hinterher: »Länger bleibt er ohnehin nie.«

    Eine Erinnerung.
    Es war vor 53 Tagen. Krankenhaus. Direkt vor der Operation. Gleich würden sie mich abholen. Mama saß an meinem Bett.
    »Kindchen«, sagte sie, »ich bin so stolz auf dich.«
    Ich fühlte mich leer im Magen, weil ich nichts gegessen hatte. Und voll im Kopf, denn da sausten tausend unangenehme Gedanken herum.
    »Kommt Papa noch?«, fragte ich. Er saß irgendwo auf dem Flur oder unten, also erschien es mir logisch, wenn er auch noch mal kam und mir etwas Liebes sagte.
    »Ich werde nachsehen«, sagte Mama.
    Sie ging aus dem Zimmer und wenige Minuten später kam Papa herein. Wie in einem Theaterstück, in dem einSpieler zwei Rollen hat und das Publikum (ich) sie deshalb nie gleichzeitig auf der Bühne sieht. Früher in der Grundschule haben wir so
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