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Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten
Autoren: Gideon Samson
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»Bist ein prächtiges Mädchen. Du machst deinem Namen alle Ehre.«
    Opa nickt. »Haargenau so ist es«, sagt er.
    Oma und Opa sehen mich an und dann sich gegenseitig. Sie lachen. Sie sind wie ein verliebtes Paar. Die meisten Leute an meinem Bett weinen oder schauen sehr ernst. Oma und Opa nicht. Nie.
    »He!«, sage ich mit einem ganz kleinen Ausrufezeichen. »Jetzt reicht es aber!«
    »Entschuldige«, sagt Opa. »So was sollten wir natürlich überhaupt nicht sagen.«
    Ich lache.
    »Sollen wir lieber ’ne Runde weinen?«, fragt Opa.
    »Dazu bin ich zu krank.«
    »Ein Spiel spielen?«, fragt Oma.
    Aber jetzt müssen sie aufhören. Dafür bin ich nämlich auch zu krank. Ich will eigentlich nichts. Außer dass sie da sind.
    »Oder sollen wir einfach nur ein Weilchen bei dir bleiben?«, fragt Opa. Es ist schön, dass er meine Gedanken lesen kann.
    Ich nicke. Hauptsache ich muss mich jetzt nicht übergeben. Das wäre ungemütlich.
    Ich werde wach. Oma und Opa sind immer noch da.
    »Müsst ihr nicht weg?«, frage ich.
    »Möchtest du das?«, fragt Oma.
    »Nein.«
    »Wir haben keine Eile«, sagt Opa.
    »Ein Glück.«
    Ich mache die Augen wieder zu.
    Ich träume von einem Kamel. Obendrauf sitzt Jani. »Schlaffe Höcker!«, ruft er die ganze Zeit. Genau wie Sonja. Nicht im Traum, sondern im Zoo. Die rief das, als sie die Kamele sah, und musste ungeheuer darüber lachen. »Wenn ich mal solche Hängebrüste bekomme«, sagte sie zu Mama, »dann musst du mir unbedingt Bescheid sagen.«
    Mama versprach es.
    Oma ist die liebste Oma der Welt. Ich habe da leicht reden, weil es einfach so ist. Und Opa ist der liebste Opa. Genauso einfach gesagt.
    Oma und Opa haben es nie eilig. Alles, was sie tun, geht langsam. Ich mag langsam. Früher nicht, aber jetzt schon.
    Oma und Opa haben auch nie Mitleid. Das ist vielleicht das Allerschönste.
    Mama muss immer weinen, weil ich ihr so leidtue. Und Papa guckt immer schuldbewusst, denn eigentlich möchte er öfter vorbeikommen. Weil ich ihm so leidtue. Mek sagt, ich wäre ihre beste Freundin. Weil ich ihr so leidtue. Und ihre Mutter ist die Schlimmste. Der tue ich so unheimlich leid, dass sie alle Ausrufezeichen der Welt braucht, um es zu zeigen.
    Aber ich weiß es auch so. Dass ich ganz arm dran bin. Dazu brauche ich keine schluchzenden Leute um mich.
    »Die sollen lieber woandershin gehen«, habe ich letzte Woche gesagt, als Opa und Oma da waren.
    »Ich verstehe dich, Liebes«, sagte Oma. »Aber sie meinen es gut.«
    Kann ja sein.
    »Vielleicht weinen sie auch wegen sich selbst«, sagte Opa.
    »Wie meinst du das?«
    »Um sich zu äußern.«
    Ich verstand Opa nicht.
    »Alle sind traurig«, sagte Opa. »Richtig oder falsch?«
    »Richtig.«
    »Weil du krank bist, liebe Belle. Richtig oder falsch?«
    »Richtig.«
    »Ich glaube«, sagte Opa, »es ist so: jeder muss seiner Trauer einen Ort geben. Und das tut jeder von uns nun mal anders.«
    »Aber ich will nicht hören, wie bedauernswert ich bin!« Manchmal kann ich deswegen so böse werden, dass die Ausrufezeichen durchs Zimmer fliegen.
    »Das verstehe ich«, sagte Opa, »aber Mitleider gibt es nun mal.«
    Mitleider
. Hat er das wirklich gesagt? Was für ein schönes Wort.
    Ich wache auf von Entengeschnatter. Zweifachem Entengeschnatter. Die eine ist Mek. Die andere ist Brie. Sie sind beste Freundinnen.
    »Wir gehen«, sagt Oma.
    »Es war schön«, sagt Opa.
    Er umarmt mich wieder.
    »Tschüss, Mek«, sagt Oma. »Tschüss, Brie.«
    Mek und Brie kennen Oma und Opa. Sie kichern. Sie sagen Tschüss. Und dann sagen sie Hallo zu mir.
    »Wie geht es dir?«, fragt Brie. »Fühlst du dich etwas besser?«
    Mek fragt, ob ich schon mit ihrem Buch angefangen habe.
    Nein, sage ich.
    Mek kommt aus Amerika. Genau wie McDonalds. Eigentlich heißt sie Megan und ihre Mutter nennt sie immer Meggie. Aber wir (Brie und ich) nennen sie Mek.
    Brie kommt aus Frankreich. Ihr Name jedenfalls. Sie heißt Brigitte de Vries und wurde nach einem französischen Filmstar benannt. Wir (Mek und ich) nennen Brie einfach Brie. Wie den französischen Käse.
    Mek und Brie sind Herzensfreundinnen und erst danach komme ich.
    »Bitte nicht Brie verraten«, sagte Mek, als sie gehört hatte, ich wäre sehr krank, »aber eigentlich bist du meine beste Freundin.«
    Und zwei Tage später kam Brie. »Verrate es bitte nicht Mek«, sagte sie, »dass du und ich beste Freundinnen sind.«
    Sie meinen beide nicht, was sie sagen. Sie sind zwar beste Freundinnen, aber untereinander. Nicht mit mir.
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