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Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten
Autoren: Gideon Samson
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ich.
    »Und zwar ziemlich schnell.«
    Mama weinte immer noch, also redete der Arzt einfach an mich gewandt weiter.
    »Alles kommt in Ordnung«, sagte er. »Es ist ein gepfeffertes Stück Arbeit, aber wir haben hier einen Chirurgen, der verdammt gut ist.«
    Doktor Baars lächelte. Mama weinte. Ich wusste nicht, was besser war.

JANI, DAS PLAPPERMAUL
    Im Zimmer steht ein neues Bett. In dem Bett liegt ein Junge. Er schläft. Der Junge ist noch klein. Acht, schätze ich. Oder neun. Jünger als ich. Ein Jüngelchen.
    »Morgen kommt Jan dazu«, sagte Lies gestern vor dem Schlafen.
    »Wozu?«
    Lies deutete mit dem Kopf in die andere Ecke. »Zu dir. Aufs Zimmer.«
    Ich sagte nichts.
    »Wird bestimmt gemütlich«, sagte Lies. »Jan ist ein richtiges Plappermäulchen.«
    Das Bett bleibt still. Die Decke bleibt still. Der kleine Junge bleibt still.
    Vielleicht ist er ja tot. Könnte gut sein, auf einmal. Ich drücke auf meinen Knopf-für-wichtige-Dinge.
    »Hast du gedrückt?«
    Das ist Annie. Die dicke Annie. Sie war ziemlich schnell.
    Ich nicke.
    »Was ist?«
    Ich schaue auf den schlafenden Jungen. Annie auch.
    »Er ist so still«, sage ich.
    Annie geht hin.
    »Und?«, frage ich.
    »Nichts weiter«, sagt Annie.
    »Ein Glück.«
    Annie kommt an mein Bett. »Hast du Langeweile?«
    »Nein.«
    »Wie fühlst du dich?«
    Ich fühle mich wie ein Fisch. In einem Glas. Einem kleinen Glas, aus dem ich nie mehr entkommen kann. Ich muss immer im Kreis schwimmen. Und Fischfutter essen. Jeden Tag derselbe Kreis. Das gleiche Fischfutter. Und die Aussicht aus dem Glas ändert sich auch nie. Weiß mit Apparaten.
    »Wie ein Fisch«, sage ich.
    »Ein Fisch?«, fragt Annie.
    »Ein Fisch im Wasser.«
    Annie lacht. »Sehr gut«, sagt sie. »Ich komme gleich noch mal zu dir. Mit deinen Medikamenten. Okay?«
    Ich sage nichts.
    Annie geht aus dem Zimmer.
    Da ist Mama. Sie schaut sofort auf das neue Bett.
    »Wer ist das?«, fragt sie.
    »Jan«, sage ich.
    Mama schaut immer noch hin. Ihr gefällt das nicht. »Ich dachte, du lägst hier allein«, sagt sie.
    Ich antworte nicht.
    »Wie ist es?«
    »Wie ist
was

    »Mit dem Jungen«, sagt sie mit einem Kopfnicken zu dem Bett.
    »Jan ist ein richtiges Plappermäulchen«, sage ich.
    Mama seufzt. »Auch das noch.«
    »Ja, Ma«, sage ich. »Auch das noch.«
    Mama schaut auf mein Nachtschränkchen, wo der Stein liegt. Ich sage schnell: »Das hat uns gerade noch gefehlt.«
    »Was?«, fragt Mama.
    »Ein Plappermäulchen.«
    Mama kommt zu meinem Bett. Sie setzt sich auf die Kante. »Wie fühlst du dich?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Anderes Thema?«
    »Ja bitte.«
    Mama fällt so schnell kein anderes Thema ein, also sind wir eine Zeit lang still.
    »Mach dir keine Sorgen, Ma.«
    »Was?«
    »Wegen dem Plappermaul.«
    »Was meinst du?«
    »Der stirbt ohnehin bald.«
    Mama schaut, als hätte sie in einen faulen Apfel gebissen. Sie traut sich nicht, wütend zu werden. Ich bin ja so bedauernswert. »Woher willst du das wissen?«, fragt sie.
    »Das sagen sie.«
    »Wer?«
    »Die Ärzte.«
    »Dass er stirbt?«
    »Nein.«
    »Was sagen sie dann?«
    Es ist mir gelungen. Ich habe Mama da, wo ich sie haben will.
    »Sie sagen …«, beginne ich. Ich mache eine Pause. Huste. Das gehört dazu. Dann wird Mama sicher gleich weinen.
    »Was?«, fragt Mama. »Was sagen sie?«
    »Dass das hier das Sterbezimmer ist.«
    Mama presst die Lippen zusammen. Um ihre Tränen aufzuhalten. Was ihr wieder mal nicht gelingt. Sie kommen schon gelaufen.
    »Nicht weinen, Ma.«
    Mama wischt sich über die Augen. Ihre Augenbrauen sind zwei große, schwarze Wülste. Sie werden immer größer. Und schwärzer. Sie wischt und wischt.
    »Hör jetzt auf, Ma«, sage ich. »Du bist wirklich kein Anblick so.«
    Sie hört auf.
    »Entschuldige«, sagt Mama. »Entschuldige, mein Mädchen.« Sie will mich drücken und ich lasse es zu.
    »Bist doch ein merkwürdiges Kind«, sagt Mama währenddessen. »Voll verrückter Fantasien.«
    Im Zimmer knarrt es. Es kommt aus dem neuen Bett.
    »Ich geh mal kurz Dampf ablassen«, sagt Mama. Sie meint, dass sie eine rauchen geht. Ekelhaft. Eigentlich will Mama damit aufhören. Das sagt sie fast jeden Tag. Aber sie schafft es nicht. Sie ist sehr süchtig nach Zigaretten. Sie wird nie aufhören.

MITLEIDER
    »Hallo!«, sagt Jan.
    »Guten Tag«, sage ich.
    Jan lächelt leise und sagt: »Ich schlafe sehr viel!«
    »Und du plapperst sehr viel.«
    Jan lächelt noch ein bisschen mehr.
    »Hat Lies gesagt«, sage ich.
    »Lies plappert
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