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Der Highlander und der wilde Engel

Titel: Der Highlander und der wilde Engel
Autoren: Lynsay Sands
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davonritt, um ansehnlichere Weidegründe zu finden. Wobei ihr Vater nicht einmal viele Männer hatte auftreiben können, um sie, Averill, vorzuführen, gestand sie sich ein. Gerade einmal drei hatten sich bislang bereitgefunden, doch drei konnten sich durchaus wie dreißig anfühlen, wenn ihr Gebaren nur verletzend genug war. Und da sie nie wusste, wann der nächste Kandidat erscheinen würde, erwachte sie jeden Tag aufs Neue mit der Furcht, es könne heute geschehen.
    An diesem Morgen jedoch war Averill nicht von der üblichen Beklemmung erfüllt. Im Gegenteil - sie fühlte sich beschwingt und gut gelaunt, während sie so dalag und den Staub beobachtete, der im hereinfallenden Sonnenlicht tanzte. Einen Augenblick sann sie darüber nach, was sie geträumt haben mochte, dass sie derart frohgemut erwacht war, ehe ihr einfiel, dass Kade ja gestern Abend endlich zu sich gekommen war. Bei der Erinnerung daran setzte sie sich jäh auf, schlug Decken und Felle zurück und sprang aus dem Bett.

    Erpicht darauf zu sehen, wie es ihm an diesem Morgen ging, eilte sie zu einer der beiden Truhen, die an der Wand standen, öffnete sie und kramte nach einem sauberen Unterkleid. Zwei Wochen lang hatte sie den bis gestern Bewusstlosen gepflegt. Will zufolge war er ohnmächtig gewesen, seit er ihn aus dem Wasser geborgen hatte. Als das Fieber endlich zurückgegangen war, ohne dass sein Freund aufwachte, war er in Sorge gewesen. Auch Averill hatte in den letzten Tagen um ihn gebangt. Schon einige Male hatte sie mit ansehen müssen, wie ein Kranker oder Versehrter in einen tiefen Schlaf gefallen war, aus dem er nicht mehr erwachte. Die Betroffenen hauchten ihr Leben aus vor den Augen ihrer hilflosen Angehörigen.
    Sie hatte Will versichert, dass dies nun, da Kade wieder zu sich gekommen sei, nicht geschehen werde. Doch sich selbst gegenüber gestand sie ein, dass sie gefürchtet hatte, auch Kade könne Opfer dieses sonderbar tiefen Schlafes werden. Sie hatte ihr Bestes getan, um es zu verhindern: Mehrmals täglich hatte sie ihm schlückchenweise Brühe gegeben, damit er nicht verdurstete oder verhungerte; sie hatte geholfen, ihn zu waschen und alle paar Tage anders zu betten, damit er sich nicht wund lag; und unablässig hatte sie mit ihm gesprochen, um ihm verstehen zu geben, dass er nicht allein war.
    Sie wusste nicht, ob letztlich ihre Bemühungen geholfen hatten oder ob seine Stunde einfach noch nicht gekommen war - jedenfalls war Kade am Leben und wieder bei Besinnung. Und sie glaubte, dass dieser glückliche Ausgang zumindest teilweise ihr zu verdanken sei. Nun wollte sie nach dem Kranken sehen und sich vergewissern, dass er nicht wieder in diesen unnatürlichen Schlummer geglitten war.
    „Oh, Ihr seid auf.“
    Averill zog gerade das Unterkleid hervor, das sie gewählt hatte, und richtete sich auf, als ihre Magd Bess in die Kammer trat. Die Frau war zwanzig Jahre älter als sie, hatte hellbraunes Haar, in das sich bereits graue Strähnen mischten, und war von schlanker Gestalt. Sie trug eine Waschschüssel und ein kleines Tuch, doch Averill beachtete beides nicht weiter, sondern sagte: „Komm, hilf mir beim Ankleiden. Ich möchte nach Kade sehen.“
    „Ach, Kade nennt Ihr ihn schon?“ Bess stellte die Schüssel auf einer weiteren Truhe ab, legte das Tuch daneben und kam zu ihr.
    Averill spürte, wie ihr angesichts des trockenen Tons der Magd die Röte in die Wangen stieg. Es gemahnte sie daran, dass sie kein Recht hatte, derart vertraulich über den schottischen Edelmann zu sprechen. Doch nachdem sie ihm zwei Wochen lang jede Kleinigkeit erzählt hatte, die ihr in den Sinn gekommen war, während er tief schlafend dalag und genas, hatte sie das Gefühl, ihn zu kennen. Der andere Grund, weshalb er ihr so vertraut erschien, war, dass Will ihr so viel über ihn berichtet hatte, wenn er ihr des Abends bei ihrer nimmermüden Wache am Bett seines Freundes Gesellschaft geleistet hatte. Dort, an Kades Krankenlager, hatte ihr Bruder ihr zahlreiche Geschichten über ihre Gefangennahme und die Zeit im Kerker erzählt, und es war nicht zu überhören gewesen, dass die vergangenen fünf Jahre eine unverbrüchliche Freundschaft zwischen ihm und dem Schotten hatten entstehen lassen. Ebenso war herauszuhören gewesen, dass Will eine hohe Meinung von dem Mann hatte ... so wie Averill, nach allem, was sie über ihn erfahren hatte.
    Sie hegte Bewunderung und Hochachtung dafür, dass Kade während der Zeit ihres Sklaventums den Lebenswillen ihres
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