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Der Hexer - NR27 - Todesvisionen

Der Hexer - NR27 - Todesvisionen

Titel: Der Hexer - NR27 - Todesvisionen
Autoren: Verschiedene
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der Toten über das Schicksal der Stämme zu befragen.
    Die Zeit der Sonnenwende aber war noch nicht gekommen, und die vermummte Gestalt, die sich taumelnd und am Ende ihrer Kraft durch den eisigen Sturm bewegte, war auch kein Medizinmann.
    Immer wieder blieb die junge Squaw stehen, öffnete die Bärenfellkapuze einen Spalt und blinzelte hinaus in das wirbelnde, weiße Inferno. Schneekristalle fauchten heran, drangen durch den schmalen Spalt und stachen wie Dutzende kleiner Nadeln nach ihren Augen. Die Squaw zog das Fell wieder zurecht und schloß für Sekunden die tränenden Augen. Sie wußte, daß es ihr Tod sein würde, jetzt stehenzubleiben und sich einfach in den Schnee sinken zu lassen. Sie wußte, daß sie gehen mußte, und doch verweigerten ihr die Füße den Dienst, schlanke, zierliche Füße, die sie schon seit Stunden nicht mehr fühlen konnte in den steinhart gefrorenen Stiefeln aus Büffelhaut.
    Monahseetah taumelte. Die steifen Finger konnten die Kapuze nicht mehr halten, und der Sturm riß sie ihr in den Nacken und lieferte die junge Squaw den wütenden Gewalten aus.
    Hart stürzte Monahseetah in den Schnee – und versank darin wie in eisigem Wasser. Ihr langes schwarzes Haar wehte noch für Sekunden im Wind, dann hatte die weiße Flut sie zugedeckt...
    Als Monahseetah wieder zu sich kam, konnte noch nicht viel Zeit vergangen sein. Noch drang das Dämmerlicht durch das weiße Leichentuch, das sie bedeckte. Noch lebte sie!
    Mit letzter Kraft stemmte sie sich wieder hoch, durchbrach die Schneedecke – und erstarrte.
    Dicht vor ihrem Gesicht war etwas! Durch die nebligen Schleier, die vor ihren Augen wallten, konnte Monahseetah nur mehr einen Schatten erkennen; einen großen, unförmigen Schatten, der pulsierend wie ein gigantisches, schlagendes Herz vor ihr hockte und mit glühenden Augen auf sie herabstarrte.
    Die Geister des Berges!
    Mit einem Schrei sprang Monahseetah auf. Die panische Angst verlieh ihr neue Kraft und ließ sie den beißenden Frost und die tauben Glieder vergessen.
    Der Schatten vor ihr stieß einen krächzenden Schrei aus, begann in noch schnellerem Rhythmus zu pulsieren – und erhob sich in die Luft!
    Monahseetah stolperte zurück, fiel und stürzte abermals in den Schnee. Der plötzliche Schmerz ließ sie die Augenlider zusammenpressen, und als sie sie wieder öffnete, klärte sich ihr Blick.
    Der Geist war ein schwarzer Adler!
    Der Anblick war so unwirklich, daß Monahseetah für Sekunden einfach liegenblieb und aus schmerzenden Augen auf das gewaltige, wild mit den Flügeln schlagende Tier starrte.
    Ein Adler? Hier, in dieser weißen Hölle, in der sonst kein Tier zu existieren vermochte? Das konnte unmöglich –
    Ein neuer Schrei brach über Monahseetahs Lippen, als sie erkannte, daß sie sich die glühenden Lichter keineswegs eingebildet hatte. Jetzt konnte sie es deutlich sehen: Die Augen des Adlers glommen tatsächlich in einem unheimlichen roten Feuer. Sein Blick war fast der eines Menschen; durchdringend und von Intelligenz erfüllt.
    Und noch während sie fassungslos auf das unheimliche schwarze Tier starrte, schwang sich der Adler höher und höher in die Lüfte, kämpfte mit mächtigem Flügelschlag gegen den Schneesturm an und stieß ein zweites Krächzen aus.
    Es klang wie ein Ruf.
    Und die junge Squaw verstand ihn! Plötzlich glaubte sie aus dem Schrei des Tieres ein Wort herauszuhören; ein Wort in der Alten Sprache.
    »Komm!« schrie der Adler, und sein Flügelschlag war ein Winken, das Monahseetah mit sich zog, fast gegen ihren Willen.
    Der dunkle Schemen des geflügelten Boten verschwand fast in den weißen Winden, und mehr als einmal verlor Monahseetah ihn aus den Augen. Doch wenn sie ihn nicht sah, so folgte sie seinem Laut, dem Rauschen der gewaltigen schwarzen Schwingen und dem Ruf, dieser magischen Stimme in der Sprache der Alten, von der sie nur ein paar Worte beherrschte.
    Und dann, von einer Sekunde auf die andere, legte sich der Sturm. Jedenfalls glaubte Monahseetah erst, daß es so sei, doch als sie sich umwandte und zurücksah, tobten hinter ihr noch immer die weißen Winde. Es war wie eine unsichtbare Wand, deren Grenze sie überschritten hatte. Eine Insel der Ruhe, mitten in den tosenden Gewalten des Sturmes. Wie das Auge eines Orkans.
    Und selbst die Kälte blieb hinter dieser Wand zurück. Hätte nicht die Angst um das, was mit ihr geschah, Monahseetah frösteln lassen – sie hätte ihren Pelz ablegen können.
    So aber blickte sie sich aus
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