Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel
Autoren: Catherine Coulter
Vom Netzwerk:
unter den Augen. Sie spricht kaum und ist in sich gekehrt. Sie kann doch nichts dafür. Ich verstehe nicht, wieso sie sich den Unfall des Mannes so zu Herzen nimmt. Sprich mit ihr, Laren.«
    »Sie und Cleve standen einander vor unserer Abreise ziemlich nah.«
    Hallad blickte sie stumm an, setzte den Krug an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck.
    »Vielleicht irre ich mich, doch nach unserer Rückkehr schien die Zuneigung zwischen den beiden abgekühlt. Cleve ist ein braver Mann, Vater. Er hat mich in Kiew mit seinem Leben beschützt.«
    »Aber der Mann ist ein Sklave. Sarla ist eine gute Seele und hat Mitleid mit ihm, wie sie für jeden auf Malverne Mitleid hätte. Wenn er wieder gesund ist, nehmen wir ihn vielleicht mit in die Normandie.«
    Laren legte den Kopf zur Seite. »Wir?«
    »Ja . . . Taby und ich«, antwortete er. Doch Laren mißtraute seinem betont aufrichtigen Tonfall.
    »Laren!«
    Sie wandte den Kopf. Merrik kam auf sie zu, und in seiner Hand hielt er einen Stein. Erst als er nahe genug war, sah sie, daß verkrustetes Blut daran klebte. »Cleve hatte keinen Unfall. Jemand hat ihm diesen Brocken auf den Kopf geschlagen und ihn dann in die Tiefe gestoßen. Hier ist der Beweis.«
    »Genauso hat Deglin deinen Bruder Erik erschlagen«, sagte Laren schaudernd. »Aber Merrik, das bedeutet, daß noch ein Mörder unter uns ist, da Deglin nicht mehr lebt.«
    »Ja, es scheint so. Ich mußte einfach wissen, ob Cleve gestürzt war und habe mit Oleg und Roran die ganze Gegend abgesucht. Roran fand den Felsbrocken in einem Gestrüpp neben dem Weg. Der Mann, der Cleve niederschlug, wollte den Eindruck erwecken, Cleve sei in den Abgrund gestürzt.«
    Zum ersten Mal seit vielen Tagen rannte Laren wieder aus dem Haus und mußte sich übergeben. Merrik hielt ihr den Kopf und strich ihr das Haar aus der Stirn. Und beide wußten, daß die Übelkeit nicht von dem Kind in ihrem Leib rührte. Sie mußte sich vor Entsetzen übergeben. Sie hatte namenlose Angst.
    Taby war völlig verändert. Aus dem ausgelassenen, sorglosen Buben war ein stilles, in sich gekehrtes Kind geworden, das sogar Merrik aus dem Weg ging. Er aß schlecht und war blaß. Über Nacht hatte er seine rosigen Apfelbäckchen verloren. Stur weigerte er sich, von Cleves Seite zu weichen. Merrik hob ihn schließlich hoch und trug den strampelnden Jungen aus dem Haus. Erst als er den Palisadenzaun weit hinter sich gelassen hatte, ließ er Taby auf einem glatten Felsen herunter und setzte sich neben ihn. »Als ich so alt war wie du«, begann er, »kam ich hierher, wenn ich allein sein wollte. Wenn mein Vater mich ausgeschimpft hatte, weil ich unfolgsam war oder etwas ausgefressen hatte, konnte ich an diesem Ort nachdenken.« Er verstummte, hielt nur Tabys Hand.
    »Dein Vater ist traurig, weil du ihm aus dem Weg gehst«, fuhr er schließlich fort, ohne das Kind anzusehen. »Zwei lange Jahre hat er um dich getrauert, weil er dich für tot hielt. Dann fand er dich wieder, und jetzt verbirgst du etwas vor ihm. Das tut ihm sehr weh. Aber ich denke, ich verstehe dich. Ich habe lange nachgedacht. Du hast gesehen, wer Cleve den Stein auf den Kopf schlug. Du hast gesehen, wer ihn in den Abgrund stieß. Deshalb weichst du nicht von Cleves Seite, aus Angst, der Mann könnte wiederkommen und erneut versuchen, ihn zu töten. Du bist ein tapferer Junge, Taby. Ich habe dich sehr lieb und möchte dir helfen. Aber du mußt mir die Wahrheit sagen, weil ich nicht erraten kann, wer der Mann ist. Weißt du eigentlich, daß er auch Erik getötet haben kann? Daß Deglin vielleicht unschuldig war?«
    »Es war kein Mann.«
    Merrik zuckte unter der dünnen, angstvollen Stimme zusammen, wartete aber geduldig, bis Taby weiterredete.
    »Sie sagt, sie tötet Laren, wenn ich meinen Mund nicht halte. Sie sagt, Laren verdient es nicht, Herrin auf Malverne zu sein. Sie sagt, das Leben hat sie ungerecht behandelt, bevor mein Vater kam. Deshalb mußte sie es tun. Wenn sie Laren getötet hat, tötet sie auch dich. Ich darf nicht darüber reden, Merrik, sie hat es mir verboten.«
    Plötzlich war ihm alles klar. Tonlos flüsterte Merrik: »Sarla.«
    Taby drückte sich zitternd an Merrik. »Sie wird Laren töten. Sie wird Cleve töten, weil er sich nicht wehren kann, Merrik. Er redet wirres Zeug. Ich muß zu ihm zurück. Du mußt auf Laren aufpassen.«
    »Ja, das tue ich. Ich werde auch auf Cleve aufpassen. Komm, Taby.«
    Merrik nahm seine Hand und lächelte zu ihm hinunter. »Du brauchst keine Angst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher