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Der Herr des Traumreichs

Der Herr des Traumreichs

Titel: Der Herr des Traumreichs
Autoren: Sara Douglass
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sich die Männer. Jetzt hielten sie sich stolz aufrecht, und in ihren Augen leuchtete neue Hoffnung. Einige lächelten sogar.
    Maximilian ging weiter, und sie reihten sich hinter Garth und Egalion ein.

    »Egalion«, rief Maximilian, »ich überlasse es Euch, so etwas wie eine Marschordnung herzustellen! Ich nehme an, daß bald weitere Männer zu uns stoßen werden.«
    »Nein!« schrie Furst, krallte die Finger in das Drahtgeflecht und rüttelte wie wild an der Tür. »Nein! Es war nicht meine Schuld! Warum soll ich dafür sterben!«
    Cavors Augen waren starr vor Entsetzen; sein rechter Arm ließ sich nicht mehr bewegen, und die Hand, die unter dem Ärmel seines Wamses hervorschaute, war weiß und von Adern durchzogen wie edelster Marmor. Die linke Hand scharrte hilflos wie eine betrunkene Spinne auf dem Boden umher.
    Der Aufzug setzte sich langsam, ganz langsam in Bewegung und glitt abwärts. Mit jedem Moment wurde er schneller.
    Und Cavors Arm wurde schwerer.
    Hinter jeder Biegung in dem herrlichen Tunnel stießen sie auf weitere Sträflingskolonnen. Mehr, als in diesem Stollen eigentlich sein dürften, dachte Garth. Aber dies war ein Traum, und in Träumen waren auch Ungereimtheiten erlaubt.
    Vor jeder Gruppe – alle ohne Ausnahme kauerten, entsetzt über das unerklärliche Geschehen, am Boden – hockte Maximilian sich auf die Fersen, um in aller Ruhe mit den Männern zu sprechen und sie zu überreden, ihm die Treue zu schwören und ihr Leben in seine Hände zu geben.
    Sie taten es ohne Zögern, kein einziger weigerte sich.
    Bald folgte Garth ein geordneter Zug von unübersehbarer Länge. Die Männer marschierten zuversichtlich und hoch erhobenen Hauptes hinter ihrem König her. Egalion hatte seine Überraschung endgültig überwunden, ging eifrig die Reihen auf und ab und formierte die ehemaligen Sträflinge zu fast schon militärischen Einheiten.
    Garth drehte sich gelegentlich um und stellte fest, daß es ohne die Ketten kaum möglich war, die ehemaligen Sträflinge von den Wärtern zu unterscheiden. Mit den Fesseln waren Unterwürfigkeit, Hoffnungslosigkeit und Überheblichkeit –
    sowie ein großer Teil des schmutzigen Glommstaubs – von den Männern abgefallen. Mit jedem Schritt, den der Zug tat, verflüchtigte sich mehr von der abscheulichen schwarzen Kruste, bis endlich die gesunde weiße Haut zum Vorschein kam.
    Garth blieb kopfschüttelnd stehen. Maximilian hatte wieder eine Kolonne erreicht, war es die vierzigste oder schon die fünfzigste? Er hatte den Überblick verloren.
    Der Korb stürzte in die Tiefen der Adern hinab. Neben Cavors verzweifeltem Geheul war nur noch das Kreischen des gemarterten Metalls zu hören. Wir hätten schon längst auf dem Boden aufschlagen müssen, dachte Furst – Was geht hier vor?
    Mit welchen Zauberkünsten hält man uns in diesem Alptraum gefangen?
    Das grüne Licht umfing sie wie ein weiches Tuch, doch jenseits der Käfiggitter huschten fremdartige dunkle Schatten vorüber.
    Maximilian bemerkte sie als erster. Er hatte wieder einmal vor einer Sträflingskolonne gesessen und ihr den Treueid abgenommen. Nun erhob er sich und betrachtete nachdenklich die seltsamen Schemen hinter den Glaswänden: Sie waren nicht Teil des Ozeans – die Fische waren viel weiter entfernt –, sondern schienen im Innern des Glases eingeschlossen zu sein.

    Maximilians Augen füllten sich mit Tränen. Die Schatten verdichteten sich, Gliedmaßen, Rümpfe und Köpfe entstanden.
    Augen, in denen das Feuer der Verzweiflung brannte, starrten von draußen zu den Menschen im Schacht herein.
    »Was ist das?« fragte der Hauptmann leise von hinten. »Wer ist das?«
    »Die Seelen derer, die in den Adern ihr Leben ließen, Egalion«, erwiderte Maximilian. »Deren Leiber in irgendein Loch geworfen wurden, wo sie unbeweint verwesten. Ich… ich weiß nicht, was ich für sie tun kann.«
    Drava starrte die Erscheinungen lange an – die vielen zuckenden Schatten hinter dem Glas verdunkelten das Licht im Schacht. Dann ließ er unvermittelt Ravennas Hand los, legte die Stirn in angestrengte Falten und stemmte sich mit beiden Händen gegen das Hangende.
    »Sie haben dich beobachtet, Maximilian«, sagte er langsam.
    »Sie haben dir beim Sterben zugesehen, und sie haben verfolgt, wie du von den Toten auferstanden bist und dein Lachen wiedergefunden hast.« Seine Züge wurden weicher.
    »Nun wollen sie das gleiche Wunder erleben.«
    Maximilian hob hilflos die Hände. »Die Toten sind unerreichbar für mich,
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