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Der Seitensprung

Titel: Der Seitensprung
Autoren: Karin Alvtegen
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    »ICH WEISS NICHT.«
    Drei Worte.
    Jedes für sich allein oder in einem anderen Zusammenhang vollkommen ungefährlich. Ganz ohne innewohnende Schwere. Bloß die Feststellung, dass er sich nicht sicher war und deshalb lieber keine Antwort gab.
    Ich weiß nicht.
    Drei Worte.
    Als Antwort auf ihre Frage stellten sie einen Angriff auf ihr gesamtes Dasein dar, einen plötzlichen Abgrund, der sich in dem frisch abgeschliffenen Wohnzimmerparkett auftat.
    Eigentlich hatte sie gar keine Frage gestellt, sondern die Worte nur gesagt, um ihm zu verstehen zu geben, wie beunruhigt sie war. Wenn sie das Undenkbare aussprach, konnte es danach nur besser werden. Ein Wendepunkt für beide. Das letzte Jahr war ein ewiger Kampf gewesen, und mit der Frage hatte sie ihm zeigen wollen, dass sie keine Kraft mehr hatte. Dass sie die Last nicht mehr alleine schultern konnte. Dass sie seine Hilfe brauchte.
    Seine Antwort war falsch gewesen. Er hatte drei Worte gebraucht, die ihr als Möglichkeit überhaupt nicht in den Sinn gekommen waren.
    »Stellst du etwa unsere gemeinsame Zukunft infrage?«
    Ich weiß nicht.
    Es gab keine Frage, die darauf noch folgen konnte, seine Antwort radierte in einem einzigen Augenblick alle Wörter aus, die sie jemals gelernt hatte. Ihr Gehirn musste sich um 180 Grad drehen und alles neu bewerten, was bislang über jeden Zweifel erhaben gewesen war. Dass es keine gemeinsame Zukunft gäbe, kam in ihrer Gedankenwelt nicht vor.
    Axel, das Haus, irgendwann einmal zusammen Großeltern werden.
    Welche Worte konnte sie finden, die von hier aus weiterführten?
    Er saß schweigend auf dem Sofa, hatte die Augen fest auf eine amerikanische Comedy-Serie gerichtet und ließ seine Finger über die Fernbedienung flattern. Kein einziges Mal hatte er sie angesehen, seitdem sie das Zimmer betreten hatte, nicht einmal, als er ihre Frage beantwortete. Der Abstand zwischen ihnen war so groß, dass sie es vielleicht gar nicht gehört hätte, wenn er noch etwas hinzufügte.
    Doch das tat sie. Klar und deutlich hörte sie ihn: »Hast du auf dem Heimweg Milch gekauft?«
    Auch diesmal sah er sie nicht an. Wollte bloß wissen, ob sie auf dem Heimweg Milch gekauft hatte.
    Ein Druck auf der Brust. Und dann dieses Stechen im linken Arm, das sie manchmal überfiel, wenn sie in Zeitnot geriet.
    »Kannst du nicht den Fernseher ausschalten?«
    Er sah auf die Fernbedienung hinunter und wechselte den Sender. Verkehrsmagazin.
    Da wurde ihr plötzlich klar, dass auf dem Sofa ein Fremder saß.
    Er sah bekannt aus, aber sie kannte ihn nicht. Er erinnerte an den Mann, der der Vater ihres Sohnes war und mit dem sie, was sie vor über elf Jahren vor Gott versprochen hatte, Freud und Leid teilen wollte, bis dass der Tod sie schied. Mit dem sie im Laufe des letzten Jahres das beschissene Sofa abgezahlt hatte, auf dem er saß. Er stellte ihre und Axels Zukunft infrage und war noch nicht einmal in der Lage, ihr so viel Respekt entgegenzubringen, das Verkehrsmagazin auszuschalten und sie anzusehen.
    Aus Angst vor der Frage, die sie nun stellen musste, um wieder Luft zu bekommen, wurde ihr übel.
    Sie schluckte. Wie sollte sie den Mut aufbringen, Klarheit zu bekommen?
    »Hast du eine andere kennen gelernt?«
    Endlich wandte er sich zu ihr. Sein Blick war vorwurfsvoll, aber immerhin sah er sie an.
    »Nein.«
    Sie schloss die Augen. Zumindest gab es keine andere. Krampfhaft versuchte sie, sich mit seiner beruhigenden Antwort über Wasser zu halten. Alles war so unbegreiflich. Das Zimmer sah genauso aus wie vorher, aber plötzlich war alles anders. Sie betrachtete das gerahmte Foto, das sie an Weihnachten aufgenommen hatte. Henrik im Weihnachtsmannkostüm und ein erwartungsvoller Axel inmitten eines Haufens von Weihnachtsgeschenken. Die Familie versammelt in ihrem Elternhaus. Vor drei Monaten.
    »Wie lange empfindest du schon so?«
    Er sah wieder zum Fernseher.
    »Ich weiß nicht.«
    »Na ja, ungefähr? Sind es zwei Wochen oder zwei Jahre?«
    Es dauerte eine Ewigkeit, bis seine Antwort kam.
    »Ein Jahr vielleicht.«
    Ein Jahr. Ein Jahr lang war er herumgelaufen und hatte ihre gemeinsame Zukunft infrage gestellt. Ohne ein Wort zu sagen.
    Während der Sommerferien, als sie mit dem Auto nach Italien fuhren. Während all der Abendessen mit ihren Freunden. Als er sie auf ihrer Dienstreise nach London begleitete und sie miteinander schliefen. Die ganze Zeit über hatte er sich gefragt, ob er weiterhin mit ihr leben wollte oder nicht.
    Wieder betrachtete sie die
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