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Der Seitensprung

Titel: Der Seitensprung
Autoren: Karin Alvtegen
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Rehabilitation erhalten hätte, die sie benötigte. Wenn sie nicht einmal daran dachten, den Beutel zu wechseln.
    Er zog das rollende Nachtkästchen heran und schaltete das Radio ein. Mix Megapol. Er war sich sicher, dass sie irgendwo dort drinnen hinter ihren geschlossenen Augen die Musik hören konnte, die er ihr vorspielte. Und er wollte nicht, dass sie etwas verpasste. Damit sie am Tag, an dem sie erwachte, alle Lieder wieder erkannte, die seitdem komponiert worden waren. Seit dem Unglück.
    Er nahm die Hautcreme aus der Nachttischschublade, zeichnete einen weißen Streifen auf ihr linkes Bein und begann zu massieren. Mit gleichmäßigen Bewegungen arbeitete er sich von der Wade über das Knie hinauf und weiter bis zur Leiste.
    »Heute war draußen richtig schönes Wetter. Ich habe einen Spaziergang hinunter zur Årstabucht gemacht und saß da unten beim Yachtclub ein bisschen in der Sonne, auf unserem Steg.«
    Behutsam hob er ihr Bein an, legte eine Hand in die Kniekehle und beugte es vorsichtig einige Male.
    »Gut, Anna ... Stell dir mal vor, später, wenn du gesund bist und wir wieder gemeinsam dorthin gehen können. Wir nehmen uns etwas zu essen und eine Decke mit und sitzen einfach in der Sonne.«
    Er streckte ihr Bein und legte es auf der Unterlage zurecht.
    »Und alle deine Topfpflanzen leben, der Hibiskus hat sogar schon wieder zu blühen angefangen.«
    Er rollte den Tropf zur Seite, um an ihre rechte Hand zu gelangen. Die Finger der Linken waren erstarrt wie eine Klaue, und er überprüfte gewissenhaft, ob die Rechte so war, wie sie sein sollte. Damit sie weiterhin ihre Bilder malen konnte, wenn sie wieder aufwachte.
    Er schaltete das Radio aus und begann sich auszuziehen.
    Die ersehnte Ruhe breitete sich in ihm aus. Eine ganze Nacht schlafen.
    Nirgendwo sonst, nur hier bei Anna verschwand der Zwang restlos und ließ seine Gedanken in Frieden. Seine Freistatt, wo es ihm endlich vergönnt war auszuruhen.
    Wenn nur Anna stark genug war und ihm den Mut verlieh zu widerstehen.
    Allein hatte er keine Chance.
    Er hatte nur einmal in der Woche die Erlaubnis, dort zu schlafen, und auch das hatte er sich erbetteln müssen.
    Manchmal fürchtete er, die Vergünstigung könnte ihm weggenommen werden, auch wenn sie keine zusätzliche Belastung für das Personal darstellte. Besonders die Neuen, so wie die heute Abend, schienen es merkwürdig zu finden. Das ärgerte ihn ein wenig. War es so sonderbar, dass sie beieinander schlafen wollten? Mein Gott, sie liebten sich doch.
    Wie auch immer, es war ihm egal, was sie von ihm hielten.
    Er dachte an das Gespräch mit Dr. Sahlstedt am nächsten Morgen und hoffte, dass es nicht um seine Übernachtungen gehen würde. Wenn man ihm die wegnähme, wäre er verloren.
    Er faltete die Jeans und den Pullover zusammen und legte sie in einem zierlichen Stapel auf den Besucherstuhl. Dann machte er die Nachttischlampe aus. Das Geräusch des Beatmungsgeräts war im Dunkeln deutlicher zu hören. Ruhige, regelmäßige Atemzüge. Wie ein treuer Freund in der Dunkelheit.
    Vorsichtig legte er sich neben ihr auf die Seite, zog die Decke über sie beide und spürte die unpassende Erregung.
    Einen einzigen Wunsch hatte er.
    Einen einzigen.
    Dass sie aufwachte und ihn berührte. Ihn anfasste. Und hinterher würde sie ihn im Arm halten und sagen, dass er nie wieder einsam zu sein bräuchte. Dass er keine Angst mehr haben müsste.
    Er würde sie nie verlassen.
    Niemals.

 
    AXEL SCHIEN ZU spüren, dass etwas nicht stimmte. Als hätten die Worte, die am vorigen Abend gesagt worden waren, die Luft verschmutzt. Sie waberten wie eine übel riechende Bedrohung zwischen den Wänden und ließen ihren Mut schon sinken, als er sich weigerte, den gestreiften Pulli anzuziehen.
    Sie musste sich zusammenreißen. Durfte nicht die Kontrolle verlieren. Er hatte ja gar nicht gesagt, dass er sich scheiden lassen wollte, das hatte er nicht. Nur, dass er fände, sie hätten keinen Spaß mehr.
    Sie hatte nicht einschlafen können. Hellwach hatte sie dagelegen und seinen Fingern gelauscht, die mitunter zögernd, mitunter zielbewusst über die Tastatur im Arbeitszimmer gerattert waren. Wie hatte er sich hinsetzen und arbeiten können? Sie fragte sich, was für einen Artikel er schrieb, und merkte, dass sie keine Ahnung hatte. Es war lange her, dass sie zuletzt über seine Arbeit gesprochen hatten. Solange er Einnahmen hatte und Geld hereinkam, mit dem sie die Rechnungen bezahlen konnte, hatte es dafür scheinbar keinen
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