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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris
Autoren: Claude Cueni
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verwunschenen Gehöft zurücklassen wollte, hatte er der Stadtverwaltung mitgeteilt,dass er an Ort und Stelle Henkersknechte verpflichten und die Gerätschaften des schwer erkrankten Henkers des Pays d’Auge ausleihen würde. So konnte Jean-Baptiste bei Joséphine auf dem Hof bleiben.
    Bevor er wegfuhr, zog sich Jouenne in seine Pharmacie zurück und zerstampfte zwei Artischocken. Er gab Apfelschnaps und pulverisierte Rinde des Yohimbebaumes dazu, die einige Soldaten aus der Neuen Welt mitgebracht hatten. Zu guter Letzt fügte er noch das Pulver der Macawurzel hinzu, einer heiligen Pflanze der Inkas, die spanische Seefahrer nach Marseille gebracht hatten. »Probier es heute Abend aus«, sagte Jouenne zu Jean-Baptiste, »und gib mir Bescheid, wie schnell und wie stark es wirkt. Es ist gut für Galle und Leber und fördert die Durchblutung.« Als er die Skepsis in Jean-Baptistes Gesicht sah, lachte er kurz auf. »Du kannst daran nicht sterben, Chevalier. Es wird dir nicht schaden. Im schlimmsten Fall wird es nichts nützen.«
    Jouenne hielt in einem kleinen schwarzen Buch genau fest, wie er den Drink gemixt hatte, und verabschiedete sich dann.
    Als Jean-Baptiste am Abend die Pferde versorgt hatte, betrat Joséphine die Scheune. Sie schien heiter und ausgelassen. Er wusste nicht, woran es lag. Irgendwie war sie schöner als sonst. Oder es fiel ihm erst jetzt auf, wie schön sie eigentlich war.
    »Jetzt sind wir allein«, sagte sie unvermittelt und blieb vor ihm stehen. Sie bat ihn dann wie üblich in die Küche. Sie hatte Bohnen gekocht und mit Speck und Zwiebeln angebraten. Sie assen, ohne ein Wort zu sprechen.
    »Wir verstehen uns ohne grosse Worte«, sagte Joséphine. Er nickte.
    Nach einer Weile reichte sie ihm den Artischockenschnaps. »Trink das«, sagte sie lächelnd. »Für die Wissenschaft.«
    Jean-Baptiste trank den Becher in einem Zug leer. Es schmeckte ein wenig bitter, aber der Alkohol machte das Getränk recht bekömmlich. Als er den Becher wieder abstellte, streckte sie ihre Hand aus. Er ergriff sie, und sie sagte: »Schlaf doch im Haus, Jean-Baptiste.« Er zögerte. »Die Nächte sind immer noch kühl«, sagte sie, lächelte etwas unbeholfen und erhob sich. Sie hielt noch immer seine Hand. Behutsam führte sie Jean-Baptiste hinter die Leinensäcke, die an der Decke hingen und die Küche vom Nachtlager trennten. Sie löste die Bänder ihrer Schürze. Dann zog sie ihr Hemd aus und schaute ihn erwartungsvoll an. Fast synchron hatte auch er begonnen, sich zu entkleiden, zuerst zaghaft, vorsichtig, dann immer rascher und voller Leidenschaft. Nach jedem abgelegten Kleidungsstück hatte er innegehalten und gewartet, bis auch sie so weit war. Ihre Zielstrebigkeit gefiel ihm.
    Sie sassen gemeinsam in der Küche und assen Kohlgemüse und die Taube, die Jouenne vor seiner Abreise mit einem Spaten erschlagen hatte.
    »Ich fühle mich so satt«, sagte Joséphine.
    Jean-Baptiste antwortete mit einem Lächeln und schaute sie lange an.
    »Ich wäre dir eine gute Frau«, flüsterte sie, als könnte sie seine Gedanken erraten.
    »Ich weiss«, sagte er. »Du bist sehr tüchtig und auch sehr lieb. Und du hast ein gutes Herz.«
    Joséphine lächelte zufrieden. »Du auch, wir würden gut zusammenpassen.«
    »Vielleicht ist es noch zu früh«, sinnierte er.
    »Zu früh?«, empörte sie sich. »Kinder muss man in jungen Jahren gebären. Worauf willst du noch warten?«
    »Auf einen Wink des Schicksals.«
    »Ich glaube nicht an das Schicksal. Alles liegt in deiner Hand. Du entscheidest über den Weg, den du gehen willst.«
    Ihre Worte erstaunten ihn. Er ergriff ihre Hand und nickte. Zärtlich fuhr er über ihren Handrücken.
    Ihre Liebe blieb nicht ohne Folgen. Joséphine wurde schwanger. Als sie eines Morgens beim Brunnen zwischen Haus und Scheune ohnmächtig wurde, rannte Meister Jouenne ihr zu Hilfe und trug sie ins Haus, in ihre Kammer. Nach einer Weile trat er wieder ins Freie und stampfte zur Scheune hinüber. Er riss das knarrende Holztor auf. Das Licht blendete Jean-Baptiste. Er lag noch auf seinem Strohlager. Jouenne ergriff die grosse Streitaxt hinter dem Tor und ging auf ihn zu.
    »Joséphine ist schwanger. Wirst du sie heiraten?«
    Jean-Baptiste schwieg.
    »Hör mir jetzt gut zu, Chevalier, ich kümmere mich um meine Gesellen und Hilfskräfte. Wenn sie krank werden, wenn sie alt und gebrechlich sind, behalte ich sie bei mir und gebe ihnen ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit, das ist die Tradition der
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