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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris
Autoren: Claude Cueni
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wollen nicht selbst Hand anlegen.«
    »Danke«, sagte Jean-Baptiste nach einer Weile.
    »Ich hab es nicht für dich getan«, log Jouenne, »aber wenn sie meinen Gesellen hängen, hab ich keinen mehr. Und ich denke, dass mein Geselle nun endgültig eingesehen hat, dass er nur bei mir in Sicherheit ist, bis der Marquis de La Boissière sein Regiment auflöst.«
    »Ich werde bei Ihnen bleiben und die schwarze Kapuze tragen.«
    Jouenne lachte. »Den Leuten hat es gefallen. Die haben hier sonst nichts. Für ein Stück Brot arbeiten sie mehrere Tage. Die einzige Zerstreuung sind die Hinrichtungen. Deshalb sind die Erwartungen hoch.«
    Jean-Baptiste nickte. Er spürte immer noch den Schrecken in seinen Gliedern wegen der Dragoner. »Wieso nehmen wir den Leichnam nicht mit?«, fragte er dann.
    »So will es die Stadtverwaltung, es soll der Abschreckung dienen. Erst wenn der Körper verwest, hängen wir ihn ab und begraben ihn. Aber nicht auf dem Friedhof.«
    Jean-Baptiste überlegte, ob es nicht doch einen Weg gab, dem Schicksal zu entrinnen. Er könnte doch jetzt einfach vom Fuhrwagen hinunterspringen. Doch dann kamen ihm wieder die Dragoner in den Sinn, und er hatte plötzlich den Eindruck, als füge sich alles zu einem Ganzen. Er konnte davonlaufen, sich verstecken, alles Mögliche versuchen, am Ende landete er immer auf dem Schafott. Er hatte keine Wahl. Dieser furchtbare Gedanke betrübte ihn, und erstarrte wie benommen auf den Feldweg, der unter den Hufen der Pferde verschwand.
    »Wenn wir zu Hause sind, zeige ich dir, wie man die Länge des Seils berechnet. Das ist Mathematik.«
    Jean-Baptiste schwieg.
    Mehr als für die Sektion der Gehenkten interessierte sich Jean-Baptiste Sanson für die Pharmazie, für die Pflanzenheilkunde und die Herstellung von Arzneimitteln. Vielleicht lag es daran, dass Joséphine sich meistens in der Pharmacie aufhielt. Sie wusste einiges über die Heilkraft der Pflanzen und gab ihr Wissen bereitwillig an Jean-Baptiste weiter. Manchmal gingen sie zusammen in den Wald und pflückten Kräuter. Joséphine zeigte ihm, wo man die Pflanzen suchen musste, woran man sie erkannte und wie man sie aufzubewahren hatte, damit sie ihre Wirkung nicht verloren. Er war gern mit ihr zusammen. Er mochte ihre stille Art. Sie gab ihm Ruhe, Frieden. Es machte ihm auch nichts aus, dass sie nichts über ihre Vergangenheit erzählte. Er hakte nie nach. Vielleicht fürchtete er, seinen Frieden erneut zu verlieren. Manchmal hörte er gar nicht richtig zu. Er lauschte der Melodie ihrer Stimme, ohne die Worte aufzunehmen.
    Die langen Winterabende verbrachten Jouenne, Joséphine und Jean-Baptiste am Kaminfeuer beim Kartenspiel. Es waren schöne Abende, bei denen auch Wein getrunken wurde. Jean-Baptiste fiel auf, dass Jouenne und Joséphine ein sehr vertrautes Verhältnis hatten. Aber er wurde nicht schlau daraus. War es eine Art väterlicher Fürsorge – für eine Magd? Oder war sie gar seine Mätresse? Er machte sichdarüber nicht allzu viele Gedanken, denn er wartete nur darauf, dass der Marquis de La Boissière endlich sein Regiment auflöste. Und manchmal überkam ihn der Drang, einfach zu verschwinden, doch irgendetwas in seinem Innern sperrte sich dagegen. Er fürchtete, gegen eine höhere Regel zu verstossen. Er hatte sein Schicksal anzunehmen. Und da gab es noch Joséphine. Immer wieder Joséphine. Er wusste nicht einmal, ob sie ihn mochte. Vielleicht war ihr das Dasein als Magd lieber als eine ungewisse Zukunft mit einem Deserteur. Und es war gar nicht so sicher, ob sie jemals Meister Jouenne verlassen würde. Sie gehörte zu jenen Menschen, die ihr eigenes Leben opferten, um anderen zu dienen. Sie verzichten auf ein eigenes Leben und können es nicht erklären. Offenbar gab es auch den Fluch, Gutes zu tun.
    »Die Karten«, unterbrach Jouenne seine Gedanken. Jean-Baptiste realisierte, dass er seit einer Ewigkeit die Karten mischte. Er lächelte verlegen und teilte sie aus. Sie spielten stets bis gegen Mitternacht. Dann prostete man sich ein letztes Mal zu, und der junge Mann kehrte in die Scheune zurück und schlief rasch ein.
    Im Frühjahr erhielt Jouenne aus dem Pays d’Auge ein Angebot für eine Hinrichtung mit dem Schwert. Er war sehr stolz darauf. Insgeheim war er beseelt von dem Gedanken, ein grosser Henker zu sein, der wie ein berühmter Schauspieler Gastauftritte in anderen Städten und Regionen absolvierte. Gegen gutes Geld, versteht sich. Da er Joséphine nicht allein in diesem angeblich
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