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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris
Autoren: Claude Cueni
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gegenseitiger Zuneigung geprägt.
    Für Meister Jouenne waren alle Träume in Erfüllung gegangen. Seine Tochter hatte einen Ehemann gefunden und ihm einen Enkel geschenkt: Charles-Henri, genannt Charles. Der Fortbestand der Dynastie war gesichert. Jouenne wusste, dass sich sein Schwiegersohn sein Leben anders vorgestellt hatte, doch er glaubte, dass die Menschen nicht auf Erden waren, um glücklich zu sein und sich irgendwelche Träume zu erfüllen. Nein, das Leben bestand aus Schmerzen und Qual und das Glück darin, seinen Platz im Leben zu finden und diesen auszufüllen.
    »Ich werde mit Charles ausreiten und ihm den Fluss zeigen«, sagte Jean-Baptiste, als er Jouennes Pharmacie betrat. Der kleine Charles sass am Boden und spielte mit Holztieren, die ihm sein Grossvater geschnitzt hatte.
    »Lass den Jungen doch hier«, sagte Jouenne, ohne sich umzudrehen, »er spielt gerade.«
    »Ich will mit meinem Sohn ausreiten«, wiederholte Jean-Baptiste.
    Nun drehte sich Jouenne um und schüttelte den Kopf. »Was ist los mit dir? Dem Jungen gefällt es hier. Er will jetzt nicht ausreiten.«
    »Muss ich dich um Erlaubnis bitten, wenn ich mit meinem Sohn ausreiten will?«
    »Sei doch nicht so empfindlich«, sagte Jouenne und widmete sich wieder seiner Arbeit.
    Jean-Baptiste hob den kleinen Charles auf. »Es ist mein Sohn«, sagte er, »und damit es so bleibt, werden wir nach Paris gehen.«
    »Er ist ein Jouenne«, herrschte ihn der Alte an, »in ihm fliesst mein Blut.«
    »Er ist ein Sanson«, widersprach Jean-Baptiste, »in ihm fliessen mein Blut und das Blut von Joséphine. Und wir werden alle drei nach Paris ziehen. Vielleicht kriege ich dann endlich den Inhalt meiner Satteltasche zurück!«
    Eine ganze Weile sprachen die beiden nicht mehr miteinander. Joséphine versuchte zu schlichten und nötigte die beiden Männer nach einigen Wochen, einen Abend beim gemeinsamen Kartenspiel zu verbringen. Wie in alten Zeiten. Die Stimmung war gedrückt. Sie spielten stumm. Kurz vor dem Schlafengehen schenkte Joséphine Wein aus.
    »Ich weiss«, brummte Jouenne nach einer Weile, »es ist dein Sohn. Aber er ist auch mein Enkel.«
    Joséphine machte ein besorgtes Gesicht und beobachtete die beiden Männer mit zunehmender Nervosität. »Was ist denn mit euch los?«, fragte sie bekümmert.
    »Wir werden nach Paris ziehen«, antwortete Jean-Baptiste.
    Jouenne zog erschreckt die Augenbrauen hoch. Damit hatte er nicht gerechnet. Wie die meisten Menschen fürchtete er die Veränderung. »Ich dachte, das Thema sei erledigt. Wir haben doch bereits darüber gesprochen. Wenn du nach Paris gehst, wählst du die Armut. Was willst du in Paris?«, fragte er sichtlich erbost. »In Paris kannst du Henker werden, Chevalier, aber dann kannst du genauso gut hierbleiben.« Aus Gewohnheit nannte er seinen Schwiegersohn noch immer Chevalier.
    »Ich will irgendetwas werden«, entgegnete Jean-Baptiste trotzig, »Drechsler, Händler, Schuhmacher. Alles. Ausser Henker.«
    Jouenne schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich sag’s dir ungern, Chevalier, aber du hast zwei linke Hände. Du bist ein Mann fürs Grobe. Du musst das machen, was andere nicht können. In den Strassen von Paris Dung einsammeln, das kann jeder Trottel. Und unter Trotteln ist die Konkurrenz am grössten. Du kannst noch vieles lernen, sei es in der Anatomie oder der Botanik, aber dafür musst du noch eine Weile hierbleiben. Ich werde nicht ewig leben, Chevalier. Dann könnt ihr nach Paris«, schloss er versöhnlich und schaute zum kleinen Charles hinüber, der auf dem Fussboden mit Holzsoldaten spielte. Doch der Gedanke, dass sein Schwiegersohn nicht lockerlassen würde, trieb ihn fast zur Verzweiflung. Er würde nie mehr für seinen Enkel kleine Tiere schnitzen. »Nein, nein«, sagte er laut, »du wirst hierbleiben und dich daran gewöhnen.«
    Jean-Baptiste war sichtlich verärgert, er wollte nicht warten, vertröstet werden, womöglich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
    »Meinst du im Ernst, die Leute in Paris wollen, dass ihnen ein Henker aus der Provinz Brot oder Wein verkauft?«, ereiferte sich Jouenne erneut.
    »Er hat doch recht«, sagte Joséphine vorsichtig, »du wirst keine Arbeit finden, die besser bezahlt ist als das Amt des Henkers, Jean-Baptiste. Was soll aus unserem kleinen Charles werden? Du musst Henker werden. Deinem Sohn zuliebe.«
    »Aber nicht hier!«, beharrte Jean-Baptiste. Er wusste genau, dass Jouenne nie im Leben nach Paris umsiedeln würde. »Wenn wir jetzt nicht
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