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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern
Autoren: Lin Carter
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zurückzukehren und ihren Sarg zu sehen? Ich brauche nicht hinzugehen, denn ein Teil von mir ist dort geblieben. Mein Herz ist in der Gruft von Niamh der Lieblichen begraben …
    Erst vor ein paar Tagen, beim Durchblättern eines alten, vertrauten Buches, stieß ich auf ein paar Zeilen, die für mich allein niedergeschrieben sein könnten, so direkt sprachen sie mich in meinem Leid an:
    Aufwärts von der Erde grünem Garten durch das siebte Tor ich staunend ging, zog hinaus zu Saturns fernen Warten, und allen Weges Weisheit ich empfing; doch Menschenschicksals Rätsel blieb …
    Der weise alte Omar der Zeltmacher! Erriet er etwas von diesen Dingen, als er in den Rosengärten seiner persischen Heimat im Mondlicht träumte? Wer kann es sagen – wer kann es wissen?
    Denn sei es durch Zufall oder mit Absicht, dieser Vers stellt eine höchst sonderbare Übereinstimmung dar.
    ›Aufwärts von der Erde grünem Garten durch das siebte Tor …‹
    Die alten tibetischen Mystiker, deren Seelenwissenschart ich angewendet hatte, um die Portale des Geistes aufzuschließen, die Fesseln des Körpers abzustreifen und mich in meinem Astralleib zu seltsamen und wunderbaren Welten jenseits des Mondes zu erheben – diese Weisen bezeichnen mit diesem Namen die Öffnung, durch die mein Geist entfloh: ›Das Siebte Tor‹!
    Durch das mein Geist in ein Schicksal entfloh, dessen Abenteuerlichkeit über alles hinausging, was ich je hätte erträumen können. In ein Leben voller Farben und Wunder, in dem ich eine so kostbare Liebe fand, daß ich sie noch jetzt fühle, in einem anderen Körper und auf einer anderen Welt. Eine Liebe, die der Tod nicht auflösen kann …
    Aber ist meine ferne Geliebte wirklich tot? Vielleicht lebt sie doch auf jener dunstigen Wunderwelt unter dem grünen Stern. Konnte Niamh den Nachstellungen ihrer Feinde entgehen? Irrt sie vielleicht noch immer durch die Zwielichtwelt der himmelhohen Bäume, jeden Augenblick in Gefahr und ohne Chongs starken, schützenden Arm? Oder liegt sie angekettet in Akhmims Kerkern, während ihre Stadt von den grausamen Horden der Invasoren geplündert wird? Oder vegetiert sie als Sklavin dahin, gepeinigt und gequält von Sionas unersättlicher Rachgier? Oder entkam sie allen Verfolgern und fand ihren Weg zurück nach Phaolon? Vielleicht belagern die Horden von Ardha in diesem Augenblick das Tor der Juwelenstadt … und ich bin hier, unfähig, ihr in dem schweren Kampf zur Seite zu stehen und die Kraft meines Schwertes für die Verteidigung der Stadt einzusetzen, die mich als ihren Helden und Retter feierte!
    Es könnte sein; es könnte sehr gut sein. Ja, sie könnte entkommen sein und ihren Weg in die Freiheit gefunden haben. Es ist möglich, daß sie lebt …
    Werde ich es je erfahren?
    Werden wir durch Welten getrennt leben und sterben und niemals das Ende der Geschichte erfahren?
    Es wird noch geraume Zeit dauern, bis mein Körper und mein Geist kräftig genug sein werden, daß ich ein zweitesmal die unheimliche Seelenreise durch den Raum zwischen den Sternen unternehmen kann. Werde ich noch einmal zur Welt des grünen Stern hinausziehen?
    Ich glaube es nicht.
    Denn wie könnte ich meinen Platz neben der Frau finden, die ich liebe? Chong ist tot. Das Messer eines Verräters zerstörte seinen Körper. Und von diesem zweiten Tod kann er sich nicht wie von dem ersten erheben. Und wie könnte ich zurückkehren und als ein anderer Mann Niamhs Liebe gewinnen?
    Das ist es, was mich zurückhält.
    Es wäre eine unerträgliche Qual, als ein körperloser Geist zur Welt des grünen Sterns zurückzukehren und Ereignisse mitanzusehen, an denen ich nicht teilnehmen könnte, die unerreichbare Lieblichkeit Niamhs vor Augen zu haben, ohne jemals hoffen zu dürfen, daß sie mich sehen und mir ein Lächeln oder ein Wort aus ihrem Mund schenken würde, den ich niemals küssen könnte …
    Und doch … könnte diese Qual schlimmer sein als die, die ich jetzt erleide, die Qual des Nichtwissens?
    Es ist wahr, die Götter haben einen ironischen Scherz mit mir getrieben. Ich starb; ich lebe wieder; und ich muß weiterleben und darf nie das Ende meiner eigenen Geschichte erfahren!
    Der alte persische Poet muß von meiner mißlichen Lage geträumt haben, als er vor so vielen Jahrhunderten durch die mondbeschienenen Gärten seines geliebten Nischapur schlenderte.
    Denn als ich sinnend in dem alten Buch der Verse weiterlas, stieß ich auf einen anderen Vierzeiler, den er vor vielen Jahrhunderten im goldenen
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