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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern
Autoren: Lin Carter
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Teil l
Das Buch von Chong dem M ächtigen
     
1. Das Buch aus Tibet
    Während ich diese Worte niederschreibe, überkommt mich ein seltsames Gefühl der Unwirklichkeit.
    Durch das Erkerfenster, vor dem mein Schreibtisch steht, sehe ich grüne Felder und hohe Bäume – Hickory und Ahorn, Kiefer und Pappel. Und jenseits dieser Felder und Hügel liegt die erwachende Welt mit ihren geschäftigen und wimmelnden Städten, voll von Menschen, die alltägliche Leben führen – Leben, die selten mit Geheimnissen und Wundern in Berührung kommen.
    Was ist wirklich, das fantastische Abenteuer, von dem zu berichten ich mich gedrängt fühle, oder die Welt vor meinen Fenstern? Habe ich nur geträumt, daß ich Länder betreten habe, die noch nie zuvor eines Menschen Fuß betreten hat, oder ist diese langweilige Welt von Steuerbescheiden und Kugelschreibern, Umweltverschmutzung und öden Fernsehsendungen selbst nichts als ein Traum? Sind beide Welten wirklich?
    Oder ist es keine von beiden?
    Vielleicht sollte ich mit meiner Jugendzeit beginnen, als mein unstillbarer Lesehunger die ersten Andeutungen des Okkulten in Reichweite meiner grüblerischen Fantasie brachte. Aber nein, ich werde mit jenem Moment beginnen, als dieses unglaublich alte und wertvolle Buch aus dem Herzen Asiens in meine Hände fiel.
    Die längst zu Staub zerfallene Hand, die diese vergilbten und runzligen Pergamentseiten mit seltsam hakigen Schriftzeichen bedeckte, gab diesem Buch den Titel Kan Chan Ga. Tausend Jahre lang hatte es in einer juwelenbesetzten Goldkassette im geheimen Archiv des Potala gelegen, dem Tempelpalast des Dalai Lama im unzugänglichen Lhasa. Wo es davor war, weiß niemand mit Sicherheit zu sagen. Die Kommentare behaupten, es sei in einem prähistorischen Steingrab in den Vorbergen des Transhimalaya gefunden worden, Jahrhunderte bevor der erste Gottkönig den Lotosthron bestieg, aber niemand weiß es wirklich. Es gab Reiche vor dem Ägypten der Pharaonen, und ältere Städte als Ur, und die Weisen flüsterten von versunkenen Städten und vergessenen Ländern, lange bevor Plato von Atlantis träumte und diese Träume niederschrieb, um für immer die Fantasie der Menschen zu beschäftigen.
    Der Titel Kan Chan Ca ist nicht tibetisch, und die runenähnlichen kleinen Schriftzeichen sind es auch nicht. Die Kommentare sagen, das Buch sei in altuigurisch geschrieben, einer Sprache, die bereits vergessen war, als König Narmer das untere mit dem oberen Reich vereinigte und als der erste Pharao regierte. Und gewissen alten Texten ist zu entnehmen, daß es einst ein uigurisches Reich in den heutigen Stein- und Sandwüsten Zentralasiens gab … vor langer, langer Zeit, bevor die Pole sich veränderten, als all dieses Land, das jetzt öde und unfruchtbar ist, ein blühender Garten war.
    Das Buch kostete mich zweihunderttausend Dollar, und sieben Jahre. Als das heilige Lhasa von den Truppen des neuen China besetzt wurde und der Dalai Lama ins Exil nach Indien floh, wurden das Kan Chan Ca und andere unbezahlbare Schätze beiseitegeschafft und verborgen. In jenen wirren Tagen der Säkularisation der Lamaklöster und der Entmachtung der alten tibetischen Priesterkaste, als viele konservative Tibeter aus ihrer Heimat flohen oder Widerstand leisteten, ging das Buch verloren. Es hieß, eine Gruppe von Lamas habe es nach Schigatse gebracht, von wo es kurz vor der Besetzung durch chinesische Streitkräfte mit anderen Wertsachen und Kultgegenständen nach Gartok im Westen des Landes geschafft worden sei. Wie sich nach langen und mühsamen Nachforschungen herausstellte, war das Buch in einem kleinen Lamakloster bei Shushal versteckt, einem abgelegenen Ort im Grenzgebiet von Ladakh. Dort wurde es von meinen Agenten nach jahrelanger Suche aufgespürt und erworben.
    Und nun hielt ich es in meinen Händen … das Buch, von dem die ältesten Weisen mit Ehrfurcht und Andacht sprechen und das sie den Schlüssel zur Befreiung der Seele nennen …
    Mein Vater investierte klug und vorausschauend und hinterließ mir ein Vermögen, das groß genug war, mich aller materiellen Sorgen zu entheben und mir die Beschäftigung mit dem Okkulten zu erlauben.
    Ich bin dreißig Jahre alt, groß, breitschultrig und kräftig gebaut. Ich habe blondes Haar und graue Augen und werde für ansehnlich gehalten. Aber Kraft und Gesundheit und Ansehnlichkeit helfen mir nicht, denn seit meinem sechsten Lebensjahr habe ich nicht einen einzigen Schritt ohne die Hilfe mechanischer Mittel getan.
    Selbst
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