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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition)
Autoren: Peter Handke
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verschiedenfarbige Socken, auch unterschiedlich lange, angezogen hatte. Als er sich dann noch einen zu großen, bäurischen Hut mit mottenlöchriger Krempe, eine Falkenfeder hineingesteckt, über den Schädel stülpte, war er endgültig aufbruchsbereit. Schon auf der Schwelle ins Freie, kehrte er um und beseitigte alle Spuren von sich. Nichts würde im Haus an ihn und sein Dagewesensein erinnern.

2
    Vom Waldrand aus wandte er sich noch einmal nach dem Anwesen um und empfand eine Art von Genugtuung, daß Haus und Land da nicht ihm gehörten. Einmal war er mit Überzeugung ein Eigentümer gewesen. Inzwischen aber war ihm sein Eigentümertum eine Last. Es beengte ihn, und es verengte ihn und seinen Blick. Es war, als sehe er als der Eigentümer selten und immer seltener etwas Ganzes, Übergreifendes, Größeres, und mehr und mehr bloß noch das Einzelne, und da zunehmend das Nebensächliche, und wenn nicht das, so an all dem Einzelnen das Unordentliche, Schadhafte, Kaputte. Als der Eigentümer sah man mit der Zeit nicht mehr, geschweige denn schaute man friedlich in den Umkreis: das Einzelne, es sprang einem in die Augen, und von einem Umkreis konnte in der Umzingelung durch Eigentum kaum mehr recht die Rede sein. Manchmal rettete da nur der Blick auf das, was einem nicht gehörte, und insbesondere der hinauf, zum Himmel. »Du Eigentümer du, den Kopf krankhaft gesenkt auf deinen Grund und Boden: Hoch den Kopf, und hoch das Herz!«
    Hier in der Fremde, gehörte nicht bloß der Himmel einem nicht, und im Blick über die Schulter sah der Mann jetzt die verrostete Fernsehantenne, die morsche Stelle in einer Balustrade, den Riß im Glas der Hoflampe, die aufgequollene alte Matratze im Schuppen daneben – sah und übersah. Über dem Dach war im Himmel eine Stelle von Blau, gerade dort angesegelt.
    Der Wald trennte das Land der Frau von der nächsten Siedlung und von ihrer Arbeitsstätte, der Kapitale. Kein Weg führte von dem savannenhaften Grasfeld da hinein. Er hätte den Wald mit ihrem anderen Auto, von ihr wie als Einladung, samt Zündschlüssel, vor die Ausfahrt gestellt, umkurven können. Beim nächsten Mal vielleicht, aber heute nicht, an diesem Tag kam das nicht in Frage. »Wenn es überhaupt ein nächstes Mal gibt«, entfuhr es ihm. Was wollte er damit sagen? Nichts, gar nichts. Er hatte sich nicht das Geringste dabei gedacht. Trotzdem ging ihm der Satz nach, schraubte sich in sein Gehirn, und er wurde ihn erst nach einer Strecke querwaldein wieder los. Und er nahm sich vor, solch unernsten Selbstgesprächen ein Ende zu machen. Nur wie? Sie sich verbieten? Brauchte man, damit so ein Verbot auch wirkte, nicht jemand andern als sich selber, einen Außenstehenden, einen Dritten?: »Still! Nicht so. Überhaupt nichts sagen!«
    Eingedrungen in den Wald war er durch die naturgewachsene, brusthohe Brombeerdornenhecke am Saum. Ihr hättet den Schauspieler sehen müssen, wie er ohne ein Zögern, in dem teuren, von der Frau eigens für den Abendanlaß ihm gekauften Anzug, erst das linke, dann das rechte Knie hochschwang und die Rankenbarriere niedergetreten und auch schon überwunden hatte, wobei er zugleich die ersten reifen Brombeeren pflückte und sich in den Mund steckte. Eine der Beeren hinterließ einen tiefschwarzen Fleck auf dem, »seinem« frischgebügelten quittenblütenweißen – kein vollkommenes Weiß – Hemd, und eine der Dornkletten, deren hiesiger Name, »ronce«, ein stärker sprechender war, riß ihm das Jackenfutter auf. Das störte ihn nicht, es war ihm sogar recht. Auf ähnliche Weise ließ er manchmal das Drehbuch mit einem zu lernenden Text über Nacht irgendwo im Freien liegen, wo es vom Tau gewellt, von einem Regen durchweicht oder vom angekündigten Schneefall eingeschneit würde, als mache erst das so ein Buch zugänglich und zu seiner höchsteigenen Angelegenheit.
    Auf seinem Gang querwaldein begegnete er lange Zeit niemandem, erstaunlich bei der Großstadtnähe, und er freute sich an dieser Menschenleere. Es war dabei recht, in der Ferne die Autobahnen zu hören und nah im Himmel nicht wenige Kleinflugzeuge und Hubschrauber. Einmal ein unvermuteter Durchblick auf die Stadtrandwolkenkratzer weit weg hinter den Bäumen, auch wie tief unten. Ein andermal stand jemand Blaugekleideter neben einem Gebüsch: Erleichtert erkannte er, es war ein Schild, ebenso wie die Gelben, die ihm dann entgegenkamen, die Markierungen der Gasleitungen waren.
    Es wuchsen da fast nur Laubbäume, im Abstand voneinander,
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