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Der Große Fall (German Edition)

Der Große Fall (German Edition)

Titel: Der Große Fall (German Edition)
Autoren: Peter Handke
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Waldboden und manchmal auch draußen auf den Straßen, und von Fall zu Fall so ein Tigermuster sogar auf dem Pflaster eines Platzes mitten in Paris oder Rom, auf der Plaza Mayor in Madrid. Die Feder gedacht, und da lag sie, vor ihm, auf einem Moospolster wie präsentiert? Es geschah etwas noch Unglaublicheres:sie, die Falkenfeder, segelte, wie gerade fallengelassen, vor seinen Augen herab, schaukelte und wedelte im Luftraum hin und her und kreuz und quer, und stürzte erst kurz vor dem Boden senkrecht ab, mit dem Kiel nach unten.
    Es war nicht zum ersten Mal, daß ihm etwas Gedachtes beinah im selben Augenblick leibhaftig begegnete-erschien, und früher hatte er sich über dergleichen nicht besonders gewundert. Er sah das als etwas Natürliches, eine Gesetzlichkeit. Am heutigen Tag freilich trat das hintereinander ein, in Serie, und das, obwohl er sich die Feder wie selbstverständlich zu der ersten an den Hut steckte, schien das des Gesetzlichen zu viel. Ob er es mit der Angst bekam? Ja, mit der Angst vor sich selber.
    Nur keine Zeichen, keine bösen, aber auch keine guten. »Geh. Geh weiter.« Im Unterschied zu den meisten in seinem Beruf trieb er keine Art von Sport. Gehen war keiner, zumindest nicht für ihn. Und doch bildete er sich ein, zwischendurch im Gehen einen eigenen Sport zu betreiben, und er sei dessen Erfinder. Er hatte auch einen Namen dafür, den »Hindernisgang«, das »Hindernisgehen«, welches in Wahrheit bloß eine Abart des Hindernislaufs darstellte. Nur hatte er mit Laufen, ausgenommen imBedarfs oder Notfall, nichts im Sinn. »Mit Laufen kann man mich jagen.« Begegneten ihm Läufer, verlangsamte er eigens den Schritt.
    Sein Hindernisgehen bestand, wie der Lauf, darin, daß ihm die Hindernisse auf seinem Weg den Parcours abgaben. Traf er unterwegs auf einen umgestürzten Baumstamm, einen Felsblock, einen Wassergraben, einen Zaun oder sonstwelche Barrieren, machte er keinen Bogen darumherum, sondern versuchte, diese Hindernisse schnurstracks zu überwinden. Die Bedingung war, daß man nicht aus dem Rhythmus des Gehens kommen durfte. Ein Springen oder Klettern war erlaubt, wenn es aus der Bewegung des Gehens heraus geschah und selber Teil des Gehens war. Also kein Stocken oder Rückwärtsgehen zum Anlauf, und beim Klettern galt die Regel: ohne Zuhilfenahme der Hände. Was war das aber für ein Klettern, bei dem man sich festzuhalten hatte allein mit den Zehen? Und nicht wenige Hindernisse schieden für seinen Sport von vorneherein aus. Andererseits betrieb er den nur dort, wo er die Hindernisse klar vor sich hatte und annahm, sie seien für den Parcours die geeigneten. Und außerdem fiel er in seinen Hindernisgang ja immer nur episodisch, wenn unterwegs eine gewisse Mattigkeit ihn nichts mehr spüren ließ als sie, die Mattigkeit, worauf er umeiniges frischer und – oder bildete er sich das ein? – mit neuer Spannkraft weiterging. »Hauptsache, die Einbildung, sie wirkt.«
    Das war eine jener Erfindungen, mit denen der Schauspieler spielte, mehr für sich selber. Eine andere kam ihm dann nach seinem Hindernisgang, im ruhigen Weitergehen querwaldein, in den Sinn. In Gedanken an alle die Waldlehrpfade mit den Schrift- und Bildtafeln auf Schritt und Tritt, als Auskünfte nicht nur zu den Bäumen und Sträuchern, sondern auch zur Beschaffenheit des Bodens, zur Herkunft der Steine, Entstehungsart der Felsen undsofort, hatte er die Idee eines »Irrtumslehrpfads«. Und die sah ungefähr so aus: Gleichfalls auf Schritt und Tritt wären da an dem Pfad Dinge, überdeutlich, ausgelegt, welche anderen Dingen so ähnlich erschienen, daß man sie, auf den ersten Blick, für diese halten müßte. Und diese vorgetäuschten anderen Dinge stellten, im Gegensatz zu den tatsächlich exponierten, Ding um Ding einen Wert dar. Ein Schwarm von besonders gelben Blättern zum Beispiel würde auf einem speziellen Moospolster so angeordnet und fixiert, daß der Lehrpfadbegeher nicht umhin könnte, in ihnen einen Teppich, einen reichen, von Pfifferlingen/setas de San Juan zu gewahren, und sich reflexhaft bückte zum Pflücken. Oder: Ein Glimmerklumpen, deutlich aus einer schwarzen oder roten Erde buckelnd, machte eine Silberader vor. Eine eingerollte und in Zeilenform gestrichelte Birkenrinde erschiene als mittelalterliche Handschriftenrolle. Ein Viereck von wie ineinanderverknüpften Edelkastanienschnüren wäre ein Orientteppich. Eine Wildschweinkotkugel eine schwarze Trüffel. Ein Oval gefügt aus Bucheckernschalen
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