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Der Graf von Monte Christo 1

Der Graf von Monte Christo 1

Titel: Der Graf von Monte Christo 1
Autoren: Alexandre Dumas
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er Danglars hinter sich, der dem Anschein nach seine Befehle erwartete, in Wirklichkeit aber gleichfalls dem jungen Seemann nachgeblickt hatte.
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    Nachdem Dantès die Cannebière in ihrer ganzen Länge durcheilt hatte, bog er in die Rue de Noailles ein, betrat ein an der linken Seite der Allées de Meilhan gelegenes Haus, stieg klopfenden Herzens schnell eine dunkle Treppe bis zum vierten Stock hinauf und blieb vor einer angelehnten Tür stehen, durch die man bis in den Hintergrund eines kleinen Zimmers sehen konnte.
    Dieses Zimmer war das seines Vaters.
    Die Nachricht von der Ankunft des »Pharao« war noch nicht bis zu dem Greis gedrungen, der, auf einem Stuhle stehend, damit beschäftigt war, mit zitternder Hand einige Kapuzinerblumen und Rebwinden, die das Fenster umrankten, mit Leisten zu stützen.
    Plötzlich fühlte er, wie ein Paar Arme sich um ihn legten, und eine wohlbekannte Stimme rief:
    »Vater, mein Vater!«
    Der Greis stieß einen Schrei aus und wandte sich um. Als er seinen Sohn erblickte, sank er zitternd und bleich in dessen Arme.
    »Was hast du denn?« rief der junge Mann beunruhigt. »Bist du krank?«
    »Nein, nein, mein lieber Edmund, mein Sohn, mein Kind, nein; es ist nur die Freude über dieses unvermutete Wiedersehen – ich hatte dich nicht erwartet –, o Gott, mir ist, als ob ich sterben müßte!«
    »Nun, nun, fasse dich doch, Vater! Die Freude soll dir keinen Schaden tun. Sei doch fröhlich, anstatt mich so mit wirren Augen anzusehen. Ich bin zurück, und wir werden glücklich sein.«
    »Ah so, Junge!« entgegnete der Greis. »Aber wieso werden wir glücklich sein? Du verläßt mich also nicht mehr? Komm, erzähle mir dein Glück!«
    »Gott verzeihe mir«, sagte der junge Mann, »daß ein Ereignis mein Glück ist, das Trauer über eine Familie bringt! Ich habe dieses Glück nicht gewünscht, aber es ist nun einmal so gekommen, und ich kann nicht anders als mich darüber freuen. Der brave Kapitän Leclère ist tot, Vater, und es ist wahrscheinlich, daß ich auf Verwendung des Herrn Morrel seine Stelle erhalte. Begreifst du, Vater? Mit zwanzig Jahren Kapitän! Hundert Louisdors Gehalt und Anteil am Gewinn!
    Wie hätte ich armer Matrose jemals solches Glück erhoff en dürfen?«
    »Ja, mein Sohn, in der Tat«, antwortete der Greis, »das ist ein Glück.«
    »Und von dem ersten Gelde, das ich erhalte, sollst du ein Häuschen mit einem Garten bekommen, worin du dir deine Rebwinden, deine Kapuzinerblumen und Jelängerjelieber pfl anzen kannst … Aber was ist dir denn, Vater, bist du krank?«
    »Geduld, Geduld! Es ist weiter nichts.«
    Die Kräfte verließen den Greis, und er sank nach hintenüber.
    »Trink ein Glas Wein, Vater; das wird dich wieder erfrischen. Wo steht dein Wein?«
    »Nein, ich danke, such nicht; ich brauche keinen«, sagte der Alte, indem er seinen Sohn zurückhielt.
    »Doch, doch, Vater, zeig mir den Platz.« Und er öff nete einige Schränke.
    »Laß sein …«, bemerkte der Greis, »es ist kein Wein mehr da.«
    »Wie, es ist kein Wein mehr da?« rief Dantès, seinerseits erbleichend und abwechselnd die blassen, eingefallenen Wangen des Greises und die leeren Schränke betrachtend. »Hat es dir an Geld gefehlt, Vater?«
    »Nein, mein Sohn, es hat mir an nichts gefehlt, nun, da du da bist«, antwortete der Greis.
    »Aber ich hatte dir doch zweihundert Franken zurückgelassen, als ich vor einem Vierteljahr abreiste«, sagte Dantès bestürzt.
    »Ja, ja, Edmund, freilich; aber du hattest vergessen, vor der Abreise eine kleine Schuld beim Nachbar Caderousse zu bezahlen; er hat mich daran erinnert und wollte, wenn ich nicht für dich bezahlte, sich das Geld von Herrn Morrel geben lassen. Und siehst du, da ich befürchtete, daß dir das schaden könnte …«
    »Nun?«
    »So habe ich es bezahlt.«
    »Es waren ja aber hundertvierzig Franken, die ich Caderousse schuldete!«
    »Ja«, sagte der Greis.
    »Und die hast du ihm von den zweihundert Franken gegeben?«
    Der Greis nickte.
    »So daß du also ein Vierteljahr von sechzig Franken gelebt hast?«
    rief der junge Mann.
    »Du weißt, wie wenig ich brauche«, sagte der Alte.
    »Oh, verzeih mir!« rief Edmund, indem er sich vor seinem Vater auf die Knie warf.
    »Was machst du denn?«
    »Oh, du hast mir das Herz zerrissen!«
    »Du bist ja da«, sagte der Greis lächelnd; »nun ist alles wieder gut.«
    »Ja, ich bin da«, entgegnete der junge Mann, »und ich habe Geld mitgebracht. Da, Vater, nimm und
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