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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein
Autoren: Barbara Goldstein
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Alessandra befreien wollte. Seine Leiche liegt nahe bei dem zugemauerten Portal.«
    Ich schlucke. »Wer ist es?«
    »Alessandra nannte ihn Nikolas.«
    »Du gottverdammter …!«, fluche ich mit rauer Stimme.
    Was, um Himmels willen, wollte Nikolas hier unten? Sie werden ihn suchen und seine Leiche finden. Wir müssen so schnell wie möglich verschwinden.
    »Wo ist Alessandra?« Meine Kehle ist so trocken, dass meine Worte wie das trockene Rascheln von uraltem Papyrus klingen.
    Tristão zeigt mit seiner Fackel auf das Ende des lang gestreckten Gewölbes unterhalb der Al-Aqsa. »Da vorne.«
    Ich nicke ihm zu. »Nach dir.«
    Wir gehen an der Treppe vorbei, die zum Platz vor der Moschee hinaufführt. Bewachen meine Mamelucken die Al-Aqsa? Hat Uthman sie wissen lassen, was in der Zitadelle geschehen ist?
    Plötzlich bleibt Tristão stehen.
    Fassungslos starrt er auf eine eingebrochene Wand aus Quadersteinen. Hatte er den Durchgang zu einer Kammer zugemauert? Mehrere Steine sind von innen aus der Mauer herausgedrückt worden und liegen auf dem Boden. Eine mit Blut durchtränkte Sandspur führt in die Finsternis. »Sie … sie ist geflohen«, flüstert er mit erstickter Stimme und greift an seine Hüfte – doch seinen Schwertgurt, an dem auch sein Dolch befestigt ist, habe ich ihm abgenommen. Er ist unbewaffnet. Und gerät in Panik.
    Ich stoße ihm die Spitze meines Schwertes in den Rücken. »Weiter!«
    Wir gehen zur eingestürzten Wand. Ich schiebe meine Fackel durch den Spalt und werfe einen Blick in die Kammer, die beinahe Alessandras Grab geworden wäre. Heißer Zorn flammt in mir auf. Auf dem Boden liegen verkohlte Fesseln. Und daneben erkenne ich … Gott im Himmel! … etliche Blutspritzer!
    »Was hast du ihr angetan!« Ich wirbele herum und hebe mein Schwert.
    Tristão reißt beide Arme schützend über seinen Kopf, wirft sich blitzschnell herum und flieht zurück zum Portal. Als ich ihm folgen will, gleite ich auf dem blutnassen Sand aus und stürze zu Boden. Sofort springe ich wieder auf und hetze zum Tor, durch das Tristão verschwunden ist, und weiter in den Gang.
    Tristão hat zwanzig Schritte Vorsprung. Mit fliegendem Habit hastet er den Gang hinunter zur Wasserleitung des römischen Aquädukts – mit Alessandras Notizbuch.

· Alessandra ·
Kapitel 81
    Im Labyrinth des Tempelbergs
    20. Dhu’l Hija 848, 23. Nisan 5205
    Osterdienstag, 30. März 1445
    Zwei Uhr fünfzehn nachts

    Das Licht einer Fackel spiegelt sich auf dem fließenden Wasser! Ich wate einen Schritt zurück und spähe um die Ecke in den Gang, der zum Gewölbe unter der Al-Aqsa führt.
    Jemand nähert sich mit einer Fackel.
    Tristão! Ist er auf der Flucht?
    Ich lösche meine Kerze, trete zurück, suche mir einen sicheren Stand in der Wasserrinne und ziehe mein Schwert.
    Als Tristão zu mir ins Wasser springt, reiße ich die mit Ruß geschwärzte Klinge hoch. »Im Namen Seiner Heiligkeit des Papstes nehme ich Euch fest, Dom Tristão de Castro. Ihr seid exkommuniziert und zum Tode verur…«
    Mit einem zornigen Schrei wirft sich Tristão auf mich und drängt mich derart ungestüm gegen die Wand, dass ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte und ins Wasser gestürzt wäre. Mit der brennenden Fackel schlägt er auf mein Handgelenk und entwindet mir die Waffe. Dann zieht er mich schützend vor sich und presst mir die Klinge gegen die Kehle.
    Yared taucht aus dem Gang auf, in der einen Hand eine Fackel, in der anderen sein Schwert.
    »Lass dein Schwert fallen, Jude! Oder sie stirbt!«, keucht Tristão.
    Yared zögert. »Du gottverfluchter …!«
    Schmerzhaft schneidet die Klinge in meine Kehle. Ich ringe nach Atem. Das Herz schlägt dröhnend in meinen Ohren. »Tu, was er sagt!«, flüstere ich atemlos.
    Yared sieht mich an. »Alessandra, ich will …«
    »Bitte, Yared! Tu, was er sagt!«, wiederhole ich eindringlich, während ich so tue, als würde ich beschwichtigend die Hand heben. Als ich sie wieder fallen lasse, taste ich nach meinem Dolch. Tristão, der mit der Fackel in der erhobenen Hand hinter mir steht, kann meine Hände nicht sehen.
    Yared begreift. Er lässt das Schwert ins knietiefe Wasser fallen. Zwischen den Lichtreflexen auf der Wasseroberfläche ist die Klinge kaum noch zu erkennen. Als er sich wieder aufrichtet, wirft er einen Blick über Tristãos Schulter. Er wirkt erschrocken. Um Gottes willen, was hat er gesehen?
    Auch Tristão scheint Yareds Entsetzen bemerkt zu haben. Er wirbelt herum, wohl um zu sehen, was Yared so
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