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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein
Autoren: Barbara Goldstein
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Biegung nach Nordosten und wendet sich dann nach Osten. Er endet in einer Säulenhalle mit einer Stiege. Ich steige hinauf, hebe die Falltür an und spähe hinaus.
    Ein warmer Windhauch weht mir entgegen. Die Nacht ist mild und sternenklar.
    Vor mir schimmert die goldene Kuppel des beleuchteten Felsendoms zwischen den Eukalyptusbäumen hindurch. Zwei meiner Mamelucken hocken auf dem Rand der Plattform, teilen sich einen Zweig Datteln und unterhalten sich. Leise trägt der Nachtwind ihr Gelächter zu mir herüber.
    Wie gern würde ich ihnen befehlen, mir ins Labyrinth zu folgen, um Alessandra zu suchen.
    Angestrengt lausche ich auf Kampfgeräusche von der Zitadelle. Aber alles ist ruhig. Kein Geschrei, kein Rumpeln der Mandjaniks. Und kein Feuerschein über dem Nachthimmel. Ist die Schlacht zu Ende? Hat Uthman die Angreifer zurückgeschlagen? Oder hat Tughan die Zitadelle erobert?
    Wie auch immer – meine Flucht mit Alessandra wurde entdeckt. Ich habe Angst um Benyamin, Tayeb und Elija. Gegen Uthmans oder Tughans Mamelucken, die nach mir suchen, können sie nichts ausrichten.
    Ich muss zurück.

· Alessandra ·
Kapitel 77
    Im Labyrinth des Tempelbergs
    20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan 5205
    Osterdienstag, 30. März 1445
    Zwei Uhr nachts

    Unbemerkt nähert sich Tristão dem Mamelucken, der gerade einen weiteren Stein aus der Mauer wuchtet und zu Boden fallen lässt.
    »Nikolas!«, warne ich ihn. »Hinter dir!«
    Geschmeidig hebt Tristão die blitzende Klinge über seinen Kopf und lässt sie, als Nikolas herumwirbelt und sein Schwert zieht, mit einer weiten, halbmondförmigen Bewegung auf den Georgier niedersausen. Die Klinge zischt durch die Luft. Das Blut spritzt bis zu mir herüber, als Tristão Nikolas mit einem einzigen kraftvollen Hieb tötet. Der junge Mamelucke sinkt zu Boden.
    Tristão wischt sein Schwert an Nikolas’ Kleidern ab und schiebt es zurück in die Scheide. Dann packt er den Toten und schleppt ihn etliche Schritte weiter in eine finstere Nische nahe dem zugemauerten Tempelportal. Ich höre, wie die silberbeschlagene Scheide seines Schwertes über den Steinboden schleift.
    Die Blutspur, die Nikolas hinterlässt, kann ich mir gut vorstellen – ich war dabei, als mein Großvater Marcantonio Colonna auf dem Campo dei Fiori enthauptet und sein Kopf in einen Korb geworfen wurde. So viel Blut!
    So viel Hass und so viel Zorn!
    Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen.
    Eine Weile ist Tristão damit beschäftigt, die Blutspur mit Sand abzudecken, damit der Tote nicht so schnell gefunden wird. Dann kommt er zu mir zurück und setzt wortlos seine Arbeit an meinem Grabmal fort. Wieder wächst die Mauer in die Höhe. Bald muss Tristão auf irgendetwas hinaufsteigen, um die schweren Steinquader hochzuwuchten.
    Dann macht er sich an die sechste und letzte Reihe.
    Es wird immer finsterer in meiner Gruft.
    »Tristão! Um Gottes willen, tu das nicht.«
    Der erste Stein ist verfugt. Er steigt hinunter und holt den nächsten. Es dauert, bis er zurückkehrt, auf den Eimer steigt und den Quader hinaufwuchtet.
    »Tristão! Um der Liebe Christi willen!«
    Er antwortet nicht und verschwindet erneut.
    Nur noch zwei Steine!
    Kurz darauf ist er zurück, hebt ächzend den Quader hoch. Es knirscht, als er ihn über den bereits antrocknenden Mörtel schiebt.
    »Tristão!«
    Ungerührt von meinem Flehen wuchtet er schließlich den letzten Stein in die verbliebene Öffnung und verschmiert die Fuge zum Türsturz mit Mörtel.
    Jetzt ist es ganz finster geworden in meiner Gruft.

· Yared ·
Kapitel 78
    Im Labyrinth des Tempelbergs
    20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan 5205
    Osterdienstag, 30. März 1445
    Kurz nach zwei Uhr nachts

    Was war das? Das ferne Echo eines Schreis?
    Ich bleibe stehen und lausche, kann jedoch außer dem Plätschern und Glucksen des Wassers, das vom römischen Aquädukt in die Zisternen fließt, nichts hören.
    Habe ich mich getäuscht? Das Geräusch war sehr leise, kaum mehr als ein Wispern. Und ich dachte schon, ich hätte Alessandra rufen hören.
    Ich stürze los.
    Nach wenigen Schritten erreiche ich die erste Kreuzung, die in der Karte in Alessandras Notizbuch verzeichnet ist. Ein Gang führt nach rechts und endet in einer Kammer direkt hinter den Steinquadern der Klagemauer, ein anderer führt nach links zum Brunnen des Kelches. Der Korridor führt geradeaus weiter zum alten Hauptquartier der Templer neben der Al-Aqsa.
    Woher kam der Schrei?
    Ich horche in die Stille.
    Mit der Hand am Griff meines
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