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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein
Autoren: Barbara Goldstein
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Tscherkessisch? Oder Georgisch?
    Dem strengen Tonfall nach zu schließen, hat ihm sein Vorgesetzter sehr energisch verboten, das Gewölbe unterhalb der Al-Aqsa zu betreten. Was ihn jedoch nicht davon abhält, es trotzdem zu tun. Vermutlich hat er die zerborstene Marmorplatte im Felsendom gesehen und will das geheimnisumwitterte Labyrinth auf eigene Faust erforschen.
    Er kommt die Treppe noch ein Stück weiter herunter. Dann bleibt er stehen und sieht sich um.
    Es ist so still, dass ich seinen Atem hören kann.
    Mein Kopf schmerzt, und ich habe einen Geschmack wie von Kupfer im Mund. Das ist das Blut auf meinen Lippen.
    Wieder ein Ruf von oben – vermutlich die ungeduldige Aufforderung, sofort zurückzukommen. Die Antwort klingt ebenso genervt. Die beiden Stimmen werden lauter, nachdrücklicher. Es hört sich an, als ob jeden Augenblick ein Streit losbrechen könnte. Dann herrscht plötzlich Schweigen.
    Ich halte den Atem an. Was soll ich tun? Ihn bitten, mich zu befreien? Damit würde ich Yareds Mamelucken ins Labyrinth holen, die vielleicht durch Uthman erfahren haben, dass Yared und ich geflohen sind. Sie würden uns in die Zitadelle zurückschleppen. Oder soll ich mich ruhig verhalten und hoffen, dass er verschwindet und mich meinem grausigen Schicksal überlässt? Mich schaudert vor Anspannung.
    Wo ist Tristão?
    Die Entscheidung, wie ich mich verhalten soll, nimmt mir der Mamelucke ab. Langsam kommt er näher. Offenbar hat er den Eimer mit dem frischen Mörtel bemerkt. Wenn er in die Kammer späht, wird er mich entdecken.
    Ich rufe ihn auf Arabisch.
    Mit erhobener Fackel blickt er über die Mauer. »Contessa Alessandra?«, fragt er erstaunt.
    Ich kenne ihn. Er heißt Nikolas und stammt aus Tiflis, der Hauptstadt Georgiens. Gemeinsam mit seinem Freund Ghiorghi hat er das verlassene Kloster auf dem Zionsberg besetzt, als Tristão Elija entführt hatte. Beim Sturmangriff auf die Höhle des Zedekia war er ebenso dabei wie gestern Mittag beim Kampf gegen Tughans Mamelucken in der Al-Aqsa.
    »W’Allah!«, stöhnt Nikolas, als er das Hanfseil erkennt, mit dem meine Arme und Beine gefesselt sind. »Was ist geschehen?«
    »Ich bin entführt worden. Bitte hilf mir.«
    Nikolas steckt seine Fackel in die Wandhalterung, schiebt mit dem Fuß rumpelnd und knirschend den Mörteleimer beiseite, wuchtet ächzend einen Steinquader aus der Mauer und lässt ihn mit einem dumpfen Schlag zu Boden fallen. Dann hebt er einen zweiten heraus. Und noch einen.
    Erleichtert atme ich auf. Offenbar hat er noch nicht von dem Streit zwischen Uthman und Yared und unserer Flucht aus der Zitadelle gehört. Sonst würde er …
    Mir stockt der Atem.
    Ein Schemen huscht lautlos heran und nähert sich Nikolas von hinten. Die Klinge eines Schwertes blitzt im Schein der Fackel.
    Es ist Tristão.

· Yared ·
Kapitel 76
    Im Labyrinth des Tempelbergs
    20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan 5205
    Osterdienstag, 30. März 1445
    Zwei Uhr nachts

    Schier endlos führt die Treppe nach unten. Der leise Windhauch, der mir entgegenströmt, ist eisig kalt. Ich muss achtgeben, dass ich auf den glatten Stufen nicht ausrutsche.
    Die Stiege mündet in eine Halle, die ins Felsgestein geschlagen wurde. Drei Gänge verlieren sich in der Finsternis. Eine Treppe führt noch tiefer in den Tempelberg hinein.
    Niedergeschlagen bleibe ich stehen.
    Allmächtiger Gott, wie groß ist dieses Labyrinth? Wie viele Ebenen von Zisternen, Schächten, Gängen und Kammern gibt es? Wie soll ich Alessandra nur finden?
    Ich atme tief durch.
    »Alessandra?«
    Keine Antwort.
    Ich leuchte in den Gang, der weiter nach Norden führt. Zu den römischen Gewölben der Burg Antonia.
    »Alessandra!«
    Nichts als Schweigen.
    In einer Kammer in der Nähe lehnen römische Amphoren an der Wand. Galiläischer Wein für Pontius Pilatus?
    Weiter!
    Der Gang endet in einem Verlies unterhalb des Prätoriums. Die Wände sind bedeckt von eingeritzten Templerkreuzen. Auch Hugues de Payns, der erste Großmeister des Templerordens, hat seinen Namen in die Wand gekratzt. Ist dies die Zelle, in der Jesus Christus vor der Kreuzigung eingekerkert war? Haben die Templer das Verlies in eine Kapelle umgewandelt?
    Ich stütze mich an der Wand ab und dehne meine verkrampften Muskeln. Meine Wunden schmerzen.
    Weiter!
    »Alessandra!«
    Meine Stimme bebt vor Angst.
    Ich eile den Gang zurück und haste, zwei Stufen auf einmal nehmend, die endlose Treppe hinauf. Dann folge ich dem nächsten Gang. Nach wenigen Schritten macht er eine
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