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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein
Autoren: Barbara Goldstein
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gottlosen Mauren auch eingemauert. Ich weiß, was du gerade durchmachst! Glaub mir, es wird noch schlimmer, wenn es finster um dich wird und du keuchend nach Atem ringst. Ein Gefühl, das du nie vergessen wirst. In einer Kammer dieser Größe wird es zwei oder drei Tage dauern, bis du qualvoll erstickst. Noch heute werde ich von schrecklichen Albträumen gequält. Verfluchte Mauren!«
    »Wenn du im Kerker eingemauert warst, wie ist dir dann die Flucht gelungen?«, knirsche ich.
    Tristão lacht höhnisch. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dir das verrate?«
    Er verlässt die Kammer und holt den nächsten Stein. Jetzt ist die erste Steinlage vollendet. Eine Schicht Mörtel, eine weitere Schicht Steine. Gelähmt vor Entsetzen beobachte ich, wie die Mauer Stein um Stein wächst.
    Die Mauer reicht Tristão schon bis zur Brust und wirft einen tiefen Schatten in die Kammer, als er plötzlich innehält und den Stein, den er eben hinaufwuchten wollte, ächzend auf dem Boden absetzt. Er richtet sich auf und lauscht angestrengt.
    Was hat er gehört?
    Es sind knirschende Schritte, die in meiner fast fertigen Gruft hohl widerhallen.
    Jemand kommt die Treppe von der Al-Aqsa herunter!
    Das Herz klopft mir bis zum Hals.
    Ist es Yared?

· Yared ·
Kapitel 74
    Im Labyrinth des Tempelbergs
    20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan 5205
    Osterdienstag, 30. März 1445
    Kurz vor zwei Uhr nachts

    Panisch haste ich durch das mir entgegenströmende Wasser – da vorn, wo die Bronzeverkleidung des Kanals endet, mündet das Aquädukt in den Tempelberg.
    Kein Zeichen von ihr, keine Nachricht, die sie mit dem roten Wachsstift in ihrer Zunderdose an die Wände des Kanals gemalt hätte, kein Lebenszeichen. Nichts!
    Jetzt habe ich die beiden Wartungstunnel des Aquädukts erreicht, die nach Norden und Süden von der Wasserleitung abzweigen. Ratlos bleibe ich stehen. Wohin? Zum Felsendom oder zur Al-Aqsa?
    Ich ziehe das Notizbuch hervor und schlage den Plan des Tempelbergs auf, den Alessandra vor einigen Tagen gezeichnet hat. Die großen Zisternen mit ihren Verbindungskanälen befinden sich im Süden, nahe der Al-Aqsa, dem alten Templerpalast und den Ställen Salomos. Unterhalb der Plattform des Felsendoms gibt es etliche kleinere Höhlen im Felsen Morija, die Alessandra und Tayeb jedoch nicht erkundet haben. Der Norden ist unerforschte Terra incognita. Was ist dort? Die Kellergewölbe und der Kerker der Burg Antonia, die einst die Nordwestecke des Tempelbergs beherrschte?
    Ich starre auf den Plan.
    Ich spüre, dass Alessandra noch lebt. Sie kann nicht tot sein. Tristão hat sie entführt. Doch wohin?
    Kurz entschlossen stecke ich das Notizbuch ein, haste die Stufen hinauf und renne, so schnell ich kann, den Gang entlang, der kaum breiter ist als die Schulterplatten meines Harnischs. Zuerst macht er einen weiten Bogen nach rechts, dahinter führt er weiter geradeaus.
    Außer meinen Schritten, die im finsteren Gang widerhallen, ist nichts zu hören.
    Kein verzweifelter Ruf, kein Schmerzensschrei. Nur Stille.
    Nach zweihundert Schritten ist der Korridor nicht mehr aus unregelmäßig geformten Bruchsteinen gemauert, sondern aus dem Felsen herausgeschlagen. Die Wände sind glatt. Die Decke ist nicht mehr so niedrig, sodass ich aufrecht gehen kann.
    Dann weitet sich der Gang zu einem hohen Gewölbe.
    Leise betrete ich den Raum.
    Auf der anderen Seite verschwindet der Gang in der Finsternis.
    Ein Portal.
    Lautlos husche ich näher heran, lege mein Ohr an das verwitterte Holz und lausche angestrengt. Doch außer dem Rauschen des Blutes in meinen Ohren kann ich nichts hören.
    Der Torflügel knirscht über den staubigen Boden, als ich ihn eine Handbreit aufschiebe, um in den Raum dahinter zu spähen. Ein kalter Windhauch strömt mir entgegen.
    Ich öffne das Portal und trete hindurch. Im Licht meiner Fackel erkenne ich einen Raum mit hohem Tonnengewölbe.
    Und eine Treppe, die nach unten führt.

· Alessandra ·
Kapitel 75
    Im Labyrinth des Tempelbergs
    20. Dhu’l Hijja 848, 23. Nisan 5205
    Osterdienstag, 30. März 1445
    Kurz vor zwei Uhr nachts

    Schritte auf der Treppe! Ich erstarre vor Schreck.
    Mit einem unterdrückten Fluch reißt Tristão die Fackel aus der Wandhalterung, löscht sie im Mörteleimer und huscht lautlos in die Finsternis.
    Ein Mamelucke kommt mit einer Fackel die Treppe herunter.
    Als von oben ein Ruf zu ihm dringt, bleibt er stehen, wendet sich mit einem knirschenden Geräusch um und antwortet in derselben Sprache. Ist es
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