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Der Gott seiner Vaeter

Der Gott seiner Vaeter

Titel: Der Gott seiner Vaeter
Autoren: Jack London
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Reise ausgerüstet sein«, erklärte der Vater, indem er das Kind aus den Armen der Mutter nahm. »Ich war einmal bei den Stromschnellen, gut verproviantiert, hatte alles – nur kein Salz. Das vergesse ich nie. Und wenn die Frau und das Kind heute nacht über die Wasserscheide wandern müssen, dann ist es am besten, sie sind auf alles vorbereitet. Es ist noch weit bis dahin, Bill, unter uns gesagt, aber selbst wenn es nicht dazu kommt, kann es ja nichts schaden.«
    Ein Becher Wasser war alles, was nötig war, und das Kind wurde in einen sicheren Winkel der Barrikaden gelegt. Dann zündeten die Männer ein Feuer an, und das Abendessen wurde zubereitet.
    Die Sonne eilte nordwärts und näherte sich dem Horizont, während der Himmel dort, wo sie stand, rot wie Blut wurde. Die Schatten wurden länger, das Licht wurde schwächer, und am Rande des dunklen Waldes erstarb langsam das Leben. Selbst die wilden Vögel auf dem Flusse stellten ihr heiseres Schnattern ein und spiegelten die Nacht vor, indem sie sich zur Ruhe begaben. Nur bei den Indianern wurde es immer lauter, die Kriegstrommeln lärmten, und ihre Stimmen erhoben sich zu wilden Gesängen. Als aber die Sonne hinter dem Horizont verschwand, hörte der Lärm auf. Stockard erhob sich auf die Knie und guckte über die Baumstämme hinweg. Einmal wimmerte das Kind und störte ihn. Die Mutter beugte sich über das Kleine, aber es schlief wieder. Die Stille war unendlich und tief. Da plötzlich brachen die Rotkehlchen in jubelnden Gesang aus. Die Nacht war vorüber.
    Ein Schwarm dunkler Gestalten wogte über das offene Gelände. Die Pfeile zischten, die Bogensehnen sangen, und die Büchsen antworteten mit ihren schrillen Tönen. Ein mit heftiger Kraft geschwungener Speer durchbohrte die Frau aus Teslin, die sich über das Kind gebeugt hatte. Ein Pfeil, der, schon fast kraftlos, zwischen den Baumstämmen hindurchfuhr, traf den Missionar in den Arm.
    Es war unmöglich, die vorstürmenden Feinde aufzuhalten. Der Boden zwischen ihnen war mit Leichen bedeckt, aber die andern kamen immer weiter und brachen wie eine wütende Woge über die Barrikade hinweg. Sturges Owen floh in das Zelt, während die Männer umgeworfen und unter dieser mächtigen Woge von menschlichen Körpern begraben wurden. Hay Stockard war der einzige, der wieder auftauchte, und er schleuderte die Indianer wie heulende Köter beiseite. Es war ihm geglückt, eine Axt zu ergreifen. Eine dunkle Hand ergriff das nackte Bein des Kindes und zog es unter der Mutter fort. Dann hielt er den kleinen, zarten Körper mit ausgestreckten Armen in die Luft und zerschmetterte ihn an den Baumstämmen. Stockard spaltete dem Mann den Kopf bis zum Kinn und begann um sich her Raum zu schaffen. Aber immer enger wurde der Kreis wilder Gesichter um ihn, und Speere und Pfeile mit knöchernen Widerhaken regneten auf ihn herab. Die Sonne ging auf, und sie wankten in den blutroten Schatten hin und zurück. Zweimal hieb er das Beil so tief hinein, daß er es nicht gleich wieder freibekommen konnte, und sie stürzten sich über ihn; aber beide Male schüttelte er sie ab. Er häufte sie um sich her auf, traf auf Tote und Sterbende, bis die Erde schlüpfrig von Blut wurde, und all das beschien die Sonne immer klarer, und die Rotkehlchen sangen dazu. Dann zogen sie sich vor ihm zurück, und er lehnte sich atemlos auf seine Axt.
    »Beim Blut meiner Seele«, rief Baptiste der Rote. »Du bist wahrlich ein Mann. Schwöre deinen Gott ab, und du sollst leben dürfen.«
    Stockard lehnte es fluchend ab, kraftlos, aber seiner selbst sicher.
    »Seht! Ein Weib!« Sturges Owen war vor den Mischling geführt worden.
    Außer einem Riß am rechten Arm hatte er keinen Schaden genommen, aber seine Augen rollten ihm, wahnsinnig vor Angst, im Kopfe. Die heroische Gestalt des Gotteslästerers, der, mit Wunden und Pfeilen bedeckt, trotzig, sorglos, unüberwindlich, groß, auf seine Axt gelehnt dastand, fing seinen flackernden Blick. Und er fühlte einen tiefen Neid auf den Mann, der mit solcher Ruhe nach den dunklen Toren des Todes wandern konnte. Wahrlich, Christus und nicht er, Sturges Owen, war für ein solches Schicksal geschaffen. Und weshalb nicht er? Er hatte ein unklares Gefühl von dem Fluch, den die verschwundenen Geschlechter über ihn gebracht hatten, von der Schwäche des Geistes, die er von den Vorfahren ererbt hatte, und er fühlte Zorn auf die Schöpfermacht, wie er sie sich nun auch vorstellen wollte, diese Schöpfermacht, die ihn, ihren
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