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Der Gott seiner Vaeter

Der Gott seiner Vaeter

Titel: Der Gott seiner Vaeter
Autoren: Jack London
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Axtschaft auf den Boden fallen und hob den Kopf. »Es ist lange, lange her, und doch entsinne ich mich so deutlich – des Tages, der Stunde, jeder Einzelheit. Wir standen in einem Rosengarten – du und ich –, im Rosengarten deiner Mutter. Alles sproß und blühte, und der Saft des Frühlings war in unserm Blut. Und ich zog dich an mich – es war das erstemal. Und küßte dich auf den Mund. Weißt du das nicht mehr?«
    »Erinnere mich nicht mehr daran, David. Ich entsinne mich jeder Einzelheit, und ich schäme mich. Wie oft habe ich doch darüber geweint. Wenn du wüßtest, was ich gelitten habe!«
    »Du gabst mir damals ein Versprechen – ja, und tausendmal in den wunderbaren Tagen, die auf den Tag folgten. Jeder Blick deiner Augen, jede Berührung deiner Hand, jede Silbe von deinen Lippen war ein Versprechen. Und dann – wie soll ich es erklären? – dann kam ein Mann. Er war alt – alt genug, daß er dein Vater hätte sein können – und nicht schön, aber er war, was man einen braven Mann nennt. Er hatte nichts Unrechtes getan. Er war dem Buchstaben des Gesetzes gefolgt, und er war ein höchst achtbarer Mann. Dazu, und das war die Hauptsache, besaß er viel Grund und Boden und mehrere elende Minen – vielleicht ein Dutzend, es kommt nicht so genau darauf an, und er war Geschäftsmann großen Stils und schnitt Coupons. Er – «
    »Aber da war anderes«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich erzählte es dir ja: Zwang – Geldsachen – Mangel – meine Familie – Ärger. Du kanntest doch meine Lage in all ihrem Elend. Ich konnte nichts dafür. Es war nicht mein Wille. Ich wurde geopfert oder opferte mich – du kannst es nennen, wie du willst. Aber – mein Gott, David, ich konnte nun einmal nicht anders! Du bist nie gerecht gegen mich gewesen. Denk daran, was ich durchgemacht habe.«
    »Es war nicht dein Wille? Zwang? In der ganzen Welt gibt es nichts, das dich diesem oder jenem Mann in die Arme zwingen könnte.«
    »Aber ich liebte dich doch – die ganze Zeit«, sagte sie flehentlich.
    »Ich begreife deinen Maßstab für Liebe nicht. Ich begreife ihn immer noch nicht.«
    »Aber jetzt! Jetzt!«
    »Wir sprachen von dem Mann, den zu heiraten du für gut fandest. Was für ein Mann war er? Womit bezauberte er deine Seele? Welche großen Tugenden hatte er? Es ist wahr: alles, was er anrührte, verwandelte sich in Gold. Er kannte das Spiel. Er verstand sich auf Geschäfte – und das gründlich. Er besaß eine gewisse engstirnige Klugheit und eine ausgezeichnete Urteilskraft in bezug auf niedrige Instinkte, und auf diese Weise brachte er bald das Geld des einen, bald das des andern in seine eigene Tasche. Und das Gesetz lächelte dazu – ja, und weil unsere christliche Ethik es nicht verdammt, zollte auch sie ihm Beifall. Nach dem Maßstab der Gesellschaft war er kein schlechter Mensch. Aber nach deinem Maßstab, Karen – nach meinem, nach unserm Maßstab im Rosengarten, was war er da?«
    »Vergiß nicht, daß er tot ist.«
    »Das ändert nichts daran. Was war er? Ein großes, plumpes, materialistisches Geschöpf, taub für Gesang, blind für Schönheit, gefühllos für Geist. Gute Tage hatten ihn fett gemacht, seine Backen hingen, und sein dicker Bauch bezeugte, daß er die Freuden der Tafel bis zum Übermaß genossen hatte.«
    »Aber er ist tot. Und wir leben, jetzt – jetzt! Jetzt! Hörst du! Es ist, wie du sagtest, ich bin treulos gewesen. Ich habe gesündigt. Gut! Aber hast du denn nicht auch gesündigt? Wenn ich meine Versprechungen gebrochen habe, hast du es nicht auch getan? Deine Liebe im Rosengarten war ewig, das sagtest du jedenfalls, und wo ist sie jetzt?«
    »Hier! Jetzt!« rief er und schlug sich mit der geballten Faust leidenschaftlich auf die Brust. »Hier ist sie stets gewesen.«
    »Und deine Liebe war groß, die größte in der Welt«, fuhr sie fort. »Das sagtest du jedenfalls im Rosengarten. Aber sie ist doch nicht edel, nicht groß genug, um mir zu verzeihen, wenn ich dir zu Füßen liege und weine?«
    Der Mann zauderte. Seine Lippen bewegten sich, aber kein Laut kam über sie. Sie hatte ihn gezwungen, sein Herz zu entblößen und Wahrheiten zu sprechen, die er vor sich selber verborgen hatte. Und sie war so schön anzuschauen, wie sie, strahlend vor Liebe, dastand und alte Erinnerungen wachrief, die das Leben heißer in ihm brennen ließen. Er wandte den Kopf ab, um sie nicht anzusehen, aber sie folgte der Bewegung und sah ihm wieder in die Augen.
    »Sieh mich an, David! Sieh mich an!
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