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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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unwillkommen und unerwartet.
    »Dann gehe ich davon aus, dass Ihr voraussichtliches Angebot ziemlich beeindruckend ausfallen wird. Ich bin mir sicher, das wäre es ohnehin gewesen! Und wenn Sie nun so freundlich wären, mich zu entschuldigen, meine Herren, ich habe noch eine weitere Verabredung mit einem Kunden – in einer ganz anderen Angelegenheit, das versichere ich Ihnen – um zehn Uhr dreißig, und ich muss nun wirklich aufbrechen. Wollen wir einen Termin ausmachen – Montag zur gleichen Zeit?«
    Es entsteht eine lange Pause. Herrgott, denkt Joe, werden sie sich jetzt womöglich auf mich stürzen?
    »Ideal«, sagt Mr Titwhistle. Er greift in sein Jackett und hält im nächsten Moment eine feine weiße Visitenkarte zwischen zwei dürren Fingern. »Rufen Sie uns an, wenn Sie irgendwelche Schwierigkeiten haben sollten – das Museum verfügt über viele gute Freunde. Wir können in allen möglichen Fällen helfen.«
    Ja, das glaub ich sofort.
    Joe beobachtet, wie sie die Straße hinuntergehen. Keiner von beiden wirft einen Blick zurück. Kein Wagen hält an, um sie aufzulesen. Sie scheinen ganz in ein Gespräch vertieft zu sein, und doch hat er das Gefühl, beobachtet, ausspioniert zu werden.
    Sollen sie doch. Schließlich bin ich ziemlich langweilig, oder? Ich beschäftige mich mit langweiligen Dingen. Ich führe ein langweiliges Leben, und niemand kann was anderes behaupten. Ich handele mit Antiquitäten und Raritäten, und Überraschungen liegen mir nicht. Zurzeit bin ich Single, und die Altersklasse der 25- bis 34-Jährigen verlasse ich gerade ein für alle Mal. Ich mag die klassischen Chelsea-Buns, die ja heute gar nicht mehr hergestellt werden, und verliebe mich in spindeldürre, wütende Frauen, die mich nicht witzig finden.
    Ich ziehe Uhren auf wie Daniel.
    Und ich werde nicht zu Mathew werden.
    »Billy, ich bin’s, Joe. Ruf mich bitte zurück. Wir müssen was besprechen.«
    Er seufzt, denn er hat das Gefühl, Trost nötig zu haben, und weiß, dass es niemanden gibt, von dem er mal eben eine Umarmung einfordern könnte. Dann geht er an die Arbeit zurück.
    Joe zieht die Uhren täglich nach dem Mittagessen auf. Er stellt sie nicht, wie in seinem Metier oft üblich, versetzt ein, sodass immer eine kurz davor ist, die Stunde zu schlagen. Er bekommt seine Kunden über Termine und über Empfehlungen. Spork & Co ist ein Geschäft, zu dem man sich ganz gezielt begibt. Seine Kunden wissen meistens bereits, was sie wollen, wenn sie zu ihm kommen, und es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sie dazu verführt werden, etwas anderes zu kaufen, nur weil es Bong macht, während sie gemütlich eine Tasse Tee und eine Marmeladentarte mit dem Geschäftsinhaber genießen. Worauf sie Wert legen, sind Pracht und Authentizität und ein Gefühl von echter Handwerkskunst. Was sie hier wohl hauptsächlich erwerben, ist ein Handschlag mit der Vergangenheit.
    Und die Vergangenheit ist an diesem Ort tatsächlich lebendig, eingefangen von der Biegung der Themse und vernehmbar in dem endlosen Wispern der Schalträder und Pendel, dem geschäftigen Surren von geölter Mechanik. Wenn er Glück hat oder einen Kundentermin auf die Gezeiten abstimmen kann, dann dringt der Nebel herein, und Wellen schlagen gegen den Backstein, und ein trauervoller Lastkahn tuckert knarzend den Fluss hinunter und lässt vielleicht sogar sein Nebelhorn erschallen. Und während sich der gesamte Ort aus der Zeit löst, stürzt sein Kunde kopfüber in diesen Zauber hinein und kauft das Stück, das ihn hergeführt hat, ohne Diskussion, auch wenn er gehofft hatte, es zum halben Nennpreis zu bekommen. Manchmal muss Joe auch erkleckliche Angebote für das Gebäude selbst zurückweisen. Bei diesen Gelegenheiten scherzt er gern, wenn hier einer dem anderen gehört, so sei es mit ziemlicher Sicherheit das Lagerhaus, das ihn in Besitz habe – zusammen mit dem geduldigen Geist seines Großvaters und dem ruhelosen seines Vaters.
    Joe zieht die Uhren auf. Die Kurbeln liegen auf einem kleinen Rollwagen – eine Schlüsselkette würde ständig klirren und die Gehäuse zerkratzen, und in einem Beutel müsste man jedes Mal herumwühlen, um den richtigen zu finden. Er schiebt ihn weiter und versucht, sich nicht wie der Krankenpfleger vorzukommen, der die Tragbahre zu den Toten befördert. Klick, klack. Tut mir leid, seine Zeit war gekommen.
    Seit etwa einem Jahr hat er sich angewöhnt, beim Aufziehen BBC Radio 4 zu hören. Das sanfte Gemurmel von Nachrichten und kulturellem
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