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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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I
    Die Socken der Väter;
Auf der Rangliste der Säugetiere;
Besuch bei einer alten Dame
    D a morgens um Viertel nach sieben die Temperatur in seinem Schlafzimmer noch unter Weltraumniveau liegt, hat Joshua Joseph Spork einen langen Ledermantel und ein Paar der Golfsocken seines Vaters angezogen. Eigentlich ist Papa Spork gar kein wahrer Golfer gewesen. Wahre Golfer besorgen sich ihre Socken nicht, indem sie einen Lastwagen auf dem Weg nach St Andrews überfallen. So was gehört sich einfach nicht. Golf huldigt der Geduld. Socken kommen und Socken gehen, und der weise Golfer wartet ab, bis er das Paar entdeckt, das ihm zusagt, und kauft es dann ohne viel Getue. Stattdessen einem vierschrötigen Lastwagenfahrer aus Glasgow eine Maschinenpistole ins Gesicht zu halten und ihm zu sagen, er solle sein Führerhaus verlassen oder in ihm das Zeitliche segnen … nun ja. Ein Mann, der sich so verhält, wird nie ein Handicap unter zehn zustande bringen.
    Die zweitausend Paar Socken waren Teil des Inventars einer angemieteten Garage an der Brick Lane, das Joe geerbt hat, als sein Vater zum großen Himmelsbunker abberufen wurde; eine eigentümliche, zusammengewürfelte Sammlung, dem exzentrischen kriminellen Lebensstil von Papa Spork sehr angemessen. Nachdem er die vorgefundene Beute weitgehend zurückgegeben hatte, blieben Joe nur einige Koffer mit persönlichen Habseligkeiten: Familienbibeln, Fotoalben und einiger Ramsch, den sein Vater offenbar seinem eigenen Vater gestohlen hatte, sowie einige Sockenpaare – der Vorsitzende des St Andrews Golf Club hatte vorgeschlagen, er möge sie doch als Andenken behalten.
    »Ich kann mir denken, dass das für Sie nicht einfach gewesen ist«, sagte der Vorsitzende am Telefon. »Alte Wunden und so weiter.«
    »Eigentlich ist mir das alles nur peinlich.«
    »Lieber Himmel, warum? Das mit den Sünden der Väter und den Söhnen ist ja schon schlimm genug, da muss es einem nicht auch noch peinlich sein. Mein Vater war beim Bomberkommando. Hat die Bombardierung von Dresden mitgeplant. Können Sie sich das vorstellen? Socken zu klauen ist da doch vergleichsweise menschenfreundlich, oder?«
    »Ich nehm’s an.«
    »Die Sache mit Dresden war natürlich während des Krieges, also vermute ich mal, dass man die Aktion damals für unumgänglich gehalten hat. Mächtig heldenhaft, kein Zweifel. Aber ich habe Fotos gesehen. Sie auch?«
    »Nein.«
    »Lassen Sie’s lieber, man wird die Bilder nicht mehr los. Aber wenn sie Ihnen aus irgendwelchen unseligen Gründen doch einmal unter die Augen kommen sollten, fühlen Sie sich vielleicht besser, wenn Sie dabei grässliche Rautenmustersocken tragen. Ich schicke Ihnen welche. Wenn es Ihre Schuldgefühle mildert, suche ich die absolut scheußlichsten aus.«
    »Oh, ja, na gut. Danke Ihnen.«
    »Ich fliege selbst, wissen Sie. Sportflugzeuge. Früher habe ich es geliebt, aber in letzter Zeit sehe ich immer Brandbomben fallen – ich kann nichts dagegen tun. Also habe ich es mehr oder weniger an den Nagel gehängt. Eigentlich eine echte Schande.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Ich werde Ihnen die Socken im Chartreuseton schicken. Es würde mir eigentlich gefallen, selbst so ein Paar anzuziehen, wenn ich den alten Scheißkerl das nächste Mal oben auf dem Hawley-Friedhof besuche. ›Schau her, du fürchterliches altes Schwein‹, werde ich zu ihm sagen, ›während du dir selbst eingeredet hast, dass es absolut lebensnotwendig ist, dass wir eine ganze Stadt voller Zivilisten opfern, haben sich die Väter von anderen Leuten damit begnügt, hässliche Socken zu klauen.‹ Das sollte ihm ordentlich eins versetzen, oder?«
    »Ich nehm’s an.«
    An Joes Füßen finden sich nun also die Früchte jenes eigentümlichen Austauschs und bilden ein willkommenes Polster zwischen seinen unpedikürten Fußsohlen und dem eiskalten Boden.
    Der Ledermantel wiederum dient dem Schutz gegen Angriffe. Joe besitzt durchaus einen Morgenrock oder, besser gesagt, einen Frotteebademantel. In dem hat man es zwar gemütlicher, ist aber auch verletzlicher.
    Joe Spork bewohnt die Lagerräume über seiner Werkstatt – der Werkstatt seines verstorbenen Großvaters – in einem schäbigen, stillen Teil Londons, unten am Fluss. Der Spielmannszug des Fortschritts ist an seinem Häuserblock vorübermarschiert, da die Aussicht grau und versperrt ist und es stark nach Flussufer riecht. So gehört ihm das gesamte riesige Gebäude theoretisch allein, obgleich es sich, leider, genau genommen im Besitz von
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