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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Angebot, und das weiß sie auch. Von Anfang an hat sie ihm etwas zeigen wollen. Er fragt sich, ob es heute wohl so weit ist.
    Er öffnet das Kästchen. Ein Golgatha aus Armaturen und Zahnrädern. Im Stillen sortiert er sie rasch: Das ist der Dorn, ja, die Hauptfeder verläuft dort entlang, dies ist ein Teil des Gehäuses und dies ebenfalls … ach du liebe Zeit. Vieles davon ist bloß Unrat, Ersatzgetriebe und Ähnliches. Sehr unordentlich. Aber alles zusammen betrachtet – die nützlichen Teile … Oh! Ja: frühes zwanzigstes Jahrhundert, was den Stil und die Materialien anbelangt, aber recht raffiniert in der Machart. Ein Stück rarer Handwerkskunst, ein Unikat. Solche Stücke werden immer wertvoller, besonders, wenn man sie auf einen bekannten Kunsthandwerker zurückführen kann. Trotzdem ist es nicht … nun ja. Nicht das, was er erwartet hat, auch wenn ihm nicht klar ist, was das gewesen wäre.
    Joe lacht, aber leise, um nicht den hündischen Vulkan zu wecken, der zwischen seinen Schenkeln vor sich hingrummelt.
    »Das ist sehr schön. Ihnen ist klar, dass dies eine hübsche Summe wert sein könnte?«
    »Ach herrje«, sagt Edie Banister. »Muss ich es versichern lassen?«
    »Tja, vielleicht. Solche Automaten kann man an einem guten Tag für einige Tausend an den Mann bringen.« Er nickt nachdrücklich. An einem schlechten Tag wiederum können sie wie ein toter Fisch auf der Auslage des Auktionators kleben bleiben, aber das ist ja im Moment egal.
    »Können Sie es reparieren?«, fragt Edie Banister, und Joe schiebt seine Enttäuschung beiseite und versichert ihr, das sei natürlich kein Problem.
    »Jetzt?«, fragt sie, und wieder heißt es ja, schließlich hat er seinen Werkzeugkasten dabei, verlässt nie ohne ihn das Haus. Eine gepolsterte Armklammer, um das Gehäuse festzuhalten. Eine weitere als dritte Hand. Spannvorrichtungen. Es ist gar kein Schaden vorhanden, es sieht eher aus, als hätte es jemand absichtlich auseinandergebaut. Recht sorgfältig. Ritscheropf , und schon ist das Ding wieder zusammengebaut, abgesehen von … hmpf. Da fehlt ein Stück – ist es nicht immer dasselbe? Es würde die Füße über Kreuz miteinander verbinden … hah! Mit einem derartigen Verbindungsteil könnte es regelrecht Schritte machen, beinahe menschlich. Sehr beeindruckend, in hohem Maße seiner Zeit voraus. Er hat im Fernsehen einen Roboter gesehen, der auf dieselbe Weise funktioniert und als brillanter Fortschritt betrachtet wird. Dies könnte beinahe ein Prototyp sein. Ohne Zweifel kocht irgendwo der Geist eines toten Handwerkskünstlers vor Wut.
    Er wirft Edie einen um Erlaubnis fragenden Blick zu, entzündet einen winzigen Schweißbrenner, erhitzt einen Metallstreifen und verbiegt, quetscht, faltet. Wieder: Ritscheropf . Er pustet darauf. Biegt es noch einmal um. Ja. Genau so, hier herum und … so. Consumatum est , wie seine Mutter sagen würde.
    Joe schaut auf, und Edie Banister blickt ihn an. Vielleicht blickt sie auch aus großem Abstand auf ihr eigenes Leben. Ihr Gesicht ist regungslos, und einen schaurigen Moment lang stellt er sich vor, sie hätte soeben das Zeitliche gesegnet. Dann erschaudert sie, lächelt ein kleines, wunderliches Lächeln und bedankt sich, woraufhin er das Spielzeug aufzieht und es in Bewegung setzt: Ein winziger Soldat, der stramm-stramm-stramm über den Tisch marschiert und mit seinen Miniaturstiefeln die Tischdecke zerknittert.
    Der Hund stiert wieder zu ihm hinauf: Der unheimliche blinde Köter, der seine verstümmelten Ohren aufstellt und angestrengt versucht, durch Glasaugen zu glotzen. Nicht perfekt, Horologe. Ein Fuß schleift hinterher. Aber es wird genügen. Sieh da: Meine Herrin ist bewegt. Dies für deine Mühen. Und nun – hinfort mit dir!
    Joe Spork eilt davon und ist sich plötzlich ziemlich sicher, dass sie eigentlich etwas anderes von ihm gewollt hat; sie hegt noch ein weiteres Geheimnis, ein bedeutsameres, das, bevor es enthüllt werden kann, dieses endlose Prüfen von J. J. Spork erforderlich macht. Etwas wehmütig fragt er sich, was er diesmal falsch gemacht hat, und spielt mit dem Gedanken kehrtzumachen. Aber vielleicht ist sie auch bloß einsam und erkennt in ihm einen geistesverwandten Einsiedler.
    Nicht dass er auf dieselbe Weise einsam wäre wie sie.
    Und tatsächlich ist er in diesem Augenblick auch nicht allein, nicht völlig. In seinem Augenwinkel zuckt etwas auf, ein dunkler Umriss, der sich in der Scheibe eines vorüberfahrenden Busses spiegelt. Ein Schatten
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