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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ein kraftvoller Mund, die darauf schließen lassen, dass sie zu ihrer Zeit eine echte Schönheit war – ist so bleich, dass Joe das Gefühl hat, er könne tatsächlich die Knochen unter ihren Wangen sehen. Die Falten auf ihren Armen runzeln sich ineinander und ziehen sich wie geschmolzenes Plastik in verschiedene Richtungen. Edie Banister ist alt .
    Dabei jedoch überaus lebendig. Im Lauf der letzten Monate hat sie wiederholt Gelegenheit gefunden, die Dienste von Spork & Co in Anspruch zu nehmen. Joe hat sie inzwischen ein Stück weit kennengelernt, und in gewisser Hinsicht erinnert sie ihn an Daniel, seinen Großvater: Sie vibriert förmlich vor reicher, destillierter Energie, als hätte das jahrzehntelange Leben aus ihrem Geist eine Reduktion hergestellt, die dickflüssig und langsam in ihrer Brust kreist, dafür aber umso süßer und kräftiger ist.
    Bastion hat sich weitaus schlechter gehalten. Er ist hässlicher als irgendetwas, das Joe jemals außerhalb eines Tiefsee-Aquariums gesehen hat. Er scheint ein denkbar ungewöhnlicher Begleiter für eine Frau wie Edie Banister zu sein, aber schließlich ist die Welt, wie Daniel einst feststellte, ein großer Bienenkorb, der sich aus Mysterien zusammensetzt, die nichts miteinander zu tun zu haben scheinen.
    Joe hat allen Grund, dies für wahr zu halten. Als Kind ist er, seinem unmoralischen Vater sei Dank, an einer ganzen Reihe geheimer Orte zu Hause gewesen, und wenn er diese gewagten Unterkünfte mit ihren pittoresken Namen – The Old Campaigners, The Sink Hole, Kings Forget – auch hinter sich gelassen hat, so ist ihm doch klar geworden, dass das Leben überall merkwürdige Gravitationssysteme von Menschenplaneten bildet, die bisweilen die absurdesten Sonnen umkreisen − Golfclubs zum Beispiel, Theater und Korbflechtkurse –, um irgendwann von den schwarzen Löchern der Untreue und des Elends aufgesogen zu werden. Oder um allein im All zu verglühen.
    Und jetzt kommen die Alten in Scharen zu ihm. Schrullig, gebeugt und zerstreut treten sie durch seine Tür und halten kleine Stücke zerbrochener Erinnerung in ihren Händen: Spieluhren, Wecker, Taschenuhren und mechanische Spielzeuge, mit denen sie einst spielten oder die sie von ihren längst verblichenen Müttern, Onkeln und Ehegatten geerbt haben.
    Edie Banister bietet ihm noch etwas Kaffee an. Joe lehnt ab. Sie lächeln einander nervös an. Sie flirten; das, was nur allzu offenkundig im Raum steht und worüber bislang geschwiegen wird – abgesehen von Bastions unkommentiertem Zugriff auf Joes Weichteile –, ist ein Kästchen aus Goldregen-Holz etwa in der Größe eines tragbaren Plattenspielers, an den Kanten eingefasst von hellerem Holz. Es ist der Grund für seinen aktuellen Besuch bei Edie Banister, der Grund dafür, dass er früh den Laden dichtgemacht und bis nach Hendon herausgefahren ist, wo in endlosen Reihen beinahe hübsche, langweilige Häuser aufeinanderfolgen, die allesamt im Stil alter Damen eingerichtet sind. Bereits mehrmals hat sie ihn kokettierend hierher bestellt und ihn dann mit Überresten eines abgewrackten Grammophons und einer wertlosen Teasmade-Teemaschine enttäuscht. Sie haben ihre ganz eigenen Verführungsszenen gespielt, indem sie ihre Geheimnisse nur Stück für Stück preisgegeben und er mit flinken, starken Händen und eleganten Lösungen auf die hartnäckigen Probleme defekter Maschinen reagiert hat. Die ganze Zeit jedoch ist ihm klar gewesen, dass sie ihn nur testet, ihn abschätzt. Irgendwo in dieser winzigen Aneinanderreihung von Räumen befindet sich etwas Interessanteres, etwas, von dem die reizende, uralte Edie überzeugt ist, dass es ihn umhauen wird, das sie aber noch nicht gänzlich bereit ist, zu offenbaren.
    Er hofft inständig, dass es ihr um Uhrwerke geht und nicht um Fleischeslust.
    Sie befeuchtet ihre Lippen, nicht mit der Zunge, sondern indem sie sie kurz nach innen saugt und aneinanderreibt. Edie Banister stammt aus einer Zeit, als man von Frauen erwartete, möglichst nicht zuzugeben, dass sie überhaupt eine Zunge hatten: Schließlich deuteten Münder und Speichel und die Mundhöhle an, dass es noch andere feuchte, fleischigere Körperstellen geben könnte, an die absolut nicht gedacht werden durfte, schon gar nicht von einem Mann.
    Joe greift zu dem Kästchen. Befühlt das Holz. Hebt es hoch, schätzt das Gewicht in seinen Händen. Er spürt … Moment . Das ist nicht ohne. Diese reizende, schrullige alte Schachtel hat da etwas ganz Erstaunliches im
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