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Der goldene Schwarm - Roman

Der goldene Schwarm - Roman

Titel: Der goldene Schwarm - Roman
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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hält all das für eine Art Test. Er lächelt höflich, sogar zerknirscht, spielt den Mann, der genau weiß, was es heißt, einen komischen Namen zu haben, und deshalb auch nicht das Bedürfnis verspürt zu lachen. Stattdessen streckt er beiden die Hand entgegen. Mr Cummerbund fasst sie leicht. Er hat sehr weiche Haut, und er schüttelt Joes Hand sanft, aber mit Begeisterung. Nach einer Weile befreit sich Joe und wendet sich Mr Titwhistle zu.
    Mr Titwhistle lehnt sich für die Begrüßung nicht vor. Er hält sich in vollkommenem Gleichgewicht, bleibt in seinem eigenen Bewegungsradius. Er schüttelt ihm die Hand, als erwarte er jeden Moment, dass Joe ausrutschen und fallen könnte und er daher die Standfestigkeit seiner Schuhgröße 42 auf dem Teppich braucht – ebenso wie die ganze Kraft in seinen Schenkeln, die übrigens verdächtig nach Polizei aussehen. Er hat sehr wenig Haar, nur ein bloßer Nebel umschließt seinen Kopf wie der Flaum auf einem versteinerten Pfirsich. Das macht es unmöglich, sein Alter einzuschätzen.
    Er blickt Joe direkt ins Gesicht, recht gelassen und ohne Verlegenheit. In seinen Augen – die grau sind und freundlich – flackert keine Spur von Antipathie oder Ablehnung auf. Tatsächlich scheinen sie eher aufrichtiges Beileid oder milde Besonnenheit auszudrücken. Mr Titwhistle versteht, dass solche kleinen Unstimmigkeiten nun einmal auftreten und dass intelligente und willensstarke Menschen sie immer auf irgendeine Weise aus dem Weg räumen können. Wenn Joe tatsächlich stolpern würde, so würde Mr Titwhistle nicht zögern, ihn aufzufangen. Mr Titwhistle sieht keinen Grund dafür, dass diejenigen, die sich derzeit auf verschiedenen Seiten des Tennisnetzes von Gesetz und Ordnung befinden, aneinandergeraten müssen. Seine eigene Freundlichkeit geht ihm über alles.
    Joe stellt fest, wie all seine alten, ungenutzten und unwillkommenen Instinkte an die Oberfläche drängen. Achtung! Aufgepasst! Gib das Signal zum Tauchgang, und jag die Tanks in die Luft! Tauch ab! Er fragt sich, warum. Er wirft einen Blick auf die Hand, die seine eigene noch immer drückt, und sieht keine Uhr. Gentlemen dieser Couleur operieren selten ohne Uhren, und eine Uhr sagt immer etwas aus über die Persönlichkeit. Wenn man derartige Rückschlüsse allerdings bewusst vermeiden wollte … Sein Blick huscht zu Mr Titwhistles Weste und findet, was er gesucht hat: eine Taschenuhr an einer schmucklosen Kette. Keine Anhänger, keine Freimaurerzeichen, keine Clubabzeichen. Keine persönlichen und keine militärischen Insignien. Eine reine Leerstelle auf einem Ausstellungsstück. Er schaut wieder zum Handgelenk. Manschettenknöpfe ohne Gravur. Auch die Krawatte ist ungemustert. Dieser Mann ist eine Chiffre. Er verbirgt sich.
    Joe wirft wieder einen Blick auf Mr Titwhistles Gesicht. Während er in diese hellen, wohlmeinenden Augen schaut, stellt er fest, dass ihm eines völlig klar ist: dass Mr Titwhistle, der gesellige Sherry-Trinker und Ratsherr von Bath, exakt den gleichen feuchten, onkelhaften Ausdruck auf dem Gesicht trüge, wenn er ihn gerade mit einer Klaviersaite strangulieren würde.
    Widerstrebend gestattet er seinem Nachtmarkt-Ich, anwesend zu bleiben.
    Nachdem die Formalitäten erledigt sind, nimmt Mr Cummerbund Platz und legt sich sein Notizbuch auf den Schoß. Aus dieser Perspektive sieht er sogar noch bizarrer aus als in dem Moment, als Joe ihn über die Quoyle Street wetzen sah. Sein Kopf hat ziemlich genau die Form einer Birne. Sein Gehirn muss in dem engen Raum ganz oben regelrecht eingequetscht sein. Seine Wangen sind breit und fett; wäre Mr Cummerbund also ein Rotwild oder ein Heilbutt, so würde dies bei Freunden gehaltvoller Speisen und Delikatessen freudige Erwartung auslösen.
    »Eine gewissermaßen delikate Angelegenheit?«, fragt Joe.
    »Ich fürchte, ja«, bestätigt Mr Titwhistle.
    »Und worum handelt es sich?«
    »Es handelt sich um einige der Güter Ihres verstorbenen Großvaters.«
    »Meines Großvaters?«
    Großvater ist ein unverfängliches Wort, denn Daniel Spork ist – im Gegensatz zu seinem Sohn – weder Unruhestifter noch notorischer Ganove gewesen. Vielleicht gerade deshalb macht es Joe umso nervöser.
    »Ja, in der Tat. Mr Daniel Spork, wenn ich mich nicht irre.«
    »Was ist mit ihm?«
    »Ah. Nun … Ich habe die Aufgabe, die Tagebücher Ihres Großvaters zu erwerben und jede Art von Korrespondenz, die Sie uns zur Verfügung stellen würden. Zusammen mit allen seinen handwerklichen
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