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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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Leben ewig währen!“, leierte der Soldat steif herunter. Ranofer warf dem Hauptmann einen Seitenblick zu; sein Gesicht war puterrot geworden vor Zorn. Offensichtlich nahm er nicht gerne Befehle von Leuten entgegen, die nur halb so groß waren wie er selbst. Genauso offensichtlich erteilte ihm Qanefer, dessen Name „Groß und Schön“ bedeutete, diese Befehle mit großem Genuss. Er sah aus wie eine Katze, die eine besonders wohlschmeckende Maus gefangen hatte. Voller Schadenfreude stolzierte er auf und ab, dass seine Ohrringe nur so baumelten und schillerten, und winkte dann überheblich mit seiner beringten Hand.
    „Du kannst dich entfernen, Hauptmann!“, flötete er. „Ich kümmere mich um den Gefangenen.“
    „Aber Hoheit!“, schrie der Soldat. „Entfernen!“, schrie der Zwerg.
    Der Soldat drehte sich auf dem Absatz um und marschierte durchs Holztor. Qanefer packte Ranofer am Handgelenk und drängte ihn: „Los, sprich! Schnell! Was ist das für ein Gefasel von Gräbern und Dieben?“ Von neuer Hoffnung überwältigt fiel der Junge auf die Knie. „Herr“, stammelte er, „i-ich…“ Er hatte große Mühe, alles der Reihe nach zu erzählen. „Im Grab der königlichen Eltern sind Räuber! Ich hab sie gesehen! Ich bin ihnen gefolgt, sie haben die Augen der Wächterstatue zerschlagen und sie haben Gold gestohlen von dem alten Paar, das in Frieden ruhte.“
    „Dummkopf!“ Der Zwerg schüttelte Ranofer grob am Handgelenk. „Du hast das nicht gesehen, du fantasierst!“
    „Ich schwöre!“ In einem verzweifelten Wortschwall erzählte Ranofer seine Geschichte: Wie er die Vase umgeworfen hatte und die Männer nach ihm suchten, wie er Gebu die Schatulle ins Gesicht geschleudert und den Weinkrug auf die Fackel geworfen hatte, wie er entkommen war und einen Stein halb auf die Öffnung gerollt hatte. „Aber ich konnte ihn nicht weit genug auf die Öffnung rollen, Herr. Sie können bestimmt entkommen. Meine beiden Freunde bewachen den Eingang, aber der eine ist ein alter Mann und der andere ein Junge so groß wie ich. Ich weiß nicht, ob es ihnen gelingt, den Stein zu halten. Vielleicht haben die Schurken sie auch schon getötet – “
    Wieder schüttelte ihn der Zwerg. „Was für Schurken? Wer sind diese Grabräuber? Das hast du alles bloß erfunden! Ich wette meine Ohrringe, dass du nicht mal ihre Namen kennst!“
    „Und ob! Wenamun, der Maurer, und Gebu, der Steinmetz. Ich kenne sie sogar sehr gut – zu gut!“, fügte Ranofer verbittert hinzu. „Gebu ist mein Halbbruder. Ich lebe bei ihm und esse sein Brot.“
    Der Gesichtsausdruck des Zwerges änderte sich schlagartig. Er betrachtete Ranofer einen Augenblick lang prüfend und zog ihn dann mit unerwarteter Kraft hinter sich her über den Kiesweg.
    „Das werden wir gleich haben“, murmelte er und stieß ein Tor auf. „Wenn du nicht lügst – “
    „Ich lüge nicht, Herr!“
    Freude und Hoffnung überwältigten den Jungen. Er wollte diesem komischen kleinen Mann danken, wollte ihn mit Preisungen überschütten, aber Qanefer trippelte so schnell, dass er kaum mithalten konnte. Sie hasteten durch einen Laubengang aus blühenden Büschen, über einen Weg und eine Treppe, die außen an einem großen Bauwerk hinaufführte.
    Der Palast!, durchfuhr es Ranofer. Ich, Ranofer, gehe in den Palast des Pharaos!
    Die Tür am Ende der Treppe öffnete sich zu einem langen Gang, durch den ihn der Zwerg im gleichen Tempo zog. Immer wieder konnte Ranofer einen Blick auf glänzende Wände erhaschen und auf Steinplatten, die in leuchtenden Farben bemalt waren. Plötzlich zog ihn der Zwerg durch eine Tür und gab ihm einen Schubs. „Du bleibst da!“, zischte er ihn mit funkelndem Blick an und verschwand.

16
     
     
     
    Verdutzt sah sich Ranofer um. Ihm war gar nicht wohl in seiner Haut. Der Raum war prunkvoller, als er es sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Auf dem polierten Steinboden lag ein bunter Teppich, darauf standen Sessel aus duftendem Zedernholz mit Goldverzierungen, die Polster waren aus feinem Leinen, gefüllt mit Daunen; sie waren federleicht und samtweich. In einer Ecke stand ein Klappstuhl aus Ebenholz mit Elfenbeineinlagen, die Stuhlbeine waren zu Leopardenpranken geschnitzt, ein Leopardenfell diente als Überwurf. Auf einem niedrigen Tisch in der Mitte des Raums stand ein Weinkrug, geschmückt mit einem Blumengebinde, und ein Kelch von einem Blau, das schöner war als der Himmel selbst. Daneben stand ein Korb mit Früchten und
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