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Der goldene Buddha

Der goldene Buddha

Titel: Der goldene Buddha
Autoren: Clive Cussler , Craig Dirgo
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vor den Palästen bei Lhasa immer mehr anwuchsen, wenngleich eine präzise Zählung unmöglich war. Aus den Bergen eilten unaufhörlich weitere Tibeter herbei, versehen mit Knüppeln, Steinen und Messern. Für die gut bewaffneten Chinesen stellte die wogende Masse lediglich Kanonenfutter dar.
    Bislang hatten die Soldaten nichts unternommen, aber auf den Zufahrtstraßen der Stadt waren erste Truppenkontingente gesichtet worden. Vor fünf Jahren hatte Overholt in Guatemala eine ähnliche Situation erlebt. Damals war eine Demonstration von Anhängern der antikommunistischen Rebellen unter Carlos Armas unvermittelt außer Kontrolle geraten. Um das Chaos wieder in den Griff zu bekommen, hatten die Soldaten des Präsidenten Jacobo Arbenz das Feuer eröffnet, und noch vor Anbruch des nächsten Tages war in den Krankenhäusern und Leichenhallen kein einziger Platz mehr frei gewesen. Overholt hatte die besagte Demonstration organisiert, und die Erinnerung daran lag wie eine schwere Last auf seinen Schultern.
    In diesem Moment erwachte das Funkgerät zum Leben.
    »Anfrage negativ. Ende.«
    Overholts Atem stockte. Die Flugzeuge, um die er gebeten hatte, würden nicht kommen.
    »Papa Bär wird bei Abreise den Weg freiräumen, falls unbedingt nötig. Erwarten Zeitpunkt und Route. Ende.«
    Eisenhower hat einen Angriff auf Lhasa untersagt, dachte Overholt, aber Dulles hat eigenmächtig entschieden, die Flucht aus Tibet gegebenenfalls militärisch abzusichern. Falls ich mich halbwegs geschickt anstelle, kann ich meinem Boss diese unangenehme Situation ersparen.
    »Sir?«, fragte der Funker.
    Overholt wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen.
    »Man wartet auf Ihre Antwort«, fügte der Funker hinzu.
    Overholt griff nach dem Mikrofon. »Verstanden und bestätigt«, sagte er. »Wir danken Papa Bär für die nette Geste, brechen hier unsere Zelte ab und melden uns von unterwegs.
    Ende und aus.«
    Der Funker blickte zu Overholt empor. »Ich schätze, das war’s dann wohl.«
    »Packt alles zusammen«, sagte Overholt ruhig. »Wir machen uns bald auf den Weg.«
    Die Vorbereitungen zur Flucht des Dalai-Lama ins Exil gingen mit hektischer Geschwindigkeit voran. Overholt wurde von den Wachposten in den Schutz der gelben Mauer vorgelassen und wartete geduldig. Fünf Minuten später betrat der Dalai-Lama das Büro im Verwaltungstrakt. Der geistliche Führer Tibets trug seine schwarze Hornbrille und das gelbe Mönchsgewand. Er wirkte erschöpft, aber gefasst.
    »Ich sehe es Ihrem Gesicht an, dass keine Hilfe kommt«, stellte er ruhig fest.
    »Es tut mir Leid, Euer Heiligkeit«, erwiderte Overholt. »Ich habe getan, was ich konnte.«
    »Ja, Langston, davon bin ich überzeugt. Wie dem auch sei, die Lage ist nun mal, wie sie ist, und daher habe ich beschlossen, ins Exil zu gehen. Ich kann nicht riskieren, dass mein Volk womöglich niedergemetzelt wird.«
    Overholt hatte erwartet, den Dalai-Lama mit Engelszungen zur Flucht überreden zu müssen – stattdessen war diese Entscheidung längst gefallen. Bei genauerer Überlegung hätte er es sich eigentlich denken können – im Laufe der Jahre war der Dalai-Lama ihm immer vertrauter geworden und hatte dabei nie Zweifel an seiner Hingabe an das tibetische Volk aufkommen lassen.
    »Meine Leute und ich würden Sie gern begleiten«, bot Overholt an. »Wir verfügen über genaue Landkarten, Funkgeräte und ausreichend Proviant.«
    »Sehr gern«, sagte der Dalai-Lama. »Wir brechen in Kürze auf.«
    »Ich wünschte, ich hätte mehr bewirken können«, sagte Overholt.
    »Die Dinge sind wie sie sind«, erwiderte der Dalai-Lama. »Sie sollten nun lieber Ihre Männer holen. Wir treffen uns am Fluss.«
    Am Himmel hoch über dem Norbulingka funkelte eine Billion Sterne. Der Mond, der sich fast vollständig gerundet hatte, warf einen trüben gelben Schimmer. Alles war still, nichts regte sich.
    Kein Nachtvogel sang sein betörendes Lied. Die zahmen Tiere im Innern der Anlage – Moschushirsche, Bergziegen, Kamele, ein einzelner bejahrter Tiger und die frei laufenden Pfauen – rührten sich kaum. Ein leichter Wind wehte vom Himalaja herab und brachte den Duft von Kiefernwäldern mit sich. Die bevorstehende Veränderung schien fast greifbar zu sein.
    Auf einem hohen Bergrücken außerhalb von Lhasa ertönte der markerschütternde Schrei eines Schneeleoparden.
    Der Dalai-Lama ließ den Blick über seine Umgebung schweifen, schloss die Augen und stellte sich vor, dass er eines Tages zurückkehren würde. Statt
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